Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mein Wettkampf mit dem Körper
Null bis zwei pro Woche. Nicht viel, aber dem Gewissen hilft’s. Der Bluttest beim Arzt bescheinigt mir außerdem einen unterirdischen Vitamin-D-Spiegel, weil ich mich im Sommer nur notgedrungen am Badesee meiner Kleidung entledige. Mein Gamma-Wert der Leber ist stark erhöht, weil ich die Wochen zuvor vor allem das Nachtleben genossen habe. Trainer Simon schickt mich aufs Laufband und zum Krafttraining. Ernährungsberaterin Alice fragt mich über meine Ernährung aus und stellt mir einen Essensplan zusammen. Das Projekt beginnt.
Ich habe daran gezweifelt, ob das mit mir und dem Laufband etwas wird. Zwei angeborene Fehlstellungen der Kniescheiben haben mir als 18-Jährigem zwei Operationen beschert. Das linke Knie hat es gut weggesteckt. Das rechte bereitet mir in schlechten Phasen höllische Schmerzen. Dazu kommt die Herausforderung des sinnentleerten Trabens. Man ist ja nicht an der Natur, es gibt kein Ziel. Das Laufband dreht sich und dreht sich gegen die Unendlichkeit. So etwas belastet mich. Wir starten mit einem Programm aus Gehen und Laufen. Die Herzfrequenz geht nie über 130. Das ist fair für den Anfang, meine Knie verhalten sich ruhig. Neun Kraftübungen ersetzen nun mein Zirkeltraining.
Statt Bier und Pasta hat Ernährungsberaterin Alice einen Speiseplan ausgearbeitet, der keine Ausflüchte zulässt: kaum Kohlenhydrate und vor allem kein Zucker. Alkohol ist tabu. Milchspeisen beschränken sich auf Magerquark und fettarmen Joghurt. Auch das Gemüse wird sortiert: Kartoffeln sind verboten. Karotten, Bohnen, Erbsen nur in Maßen erlaubt. Drei Mahlzeiten am Tag mit vier bis sechs Stunden Pause dazwischen.
30 Prozent kommt vom Sport, 70 Prozent von der Ernährung. Das ist die Pi-mal-Daumen-Abnehmregel der Fitnesstrainer und sie scheint überraschenderweise auch auf den Anstrengungsfaktor zuzutreffen. Der Sport fällt irgendwann leicht, wenn man das Muskel- und KardioProgramm in den Tag integrieren kann. Bei mir sind es die Mittagspausen. Der Ernährungsplan hingegen ist ein Monster. Nicht, weil ich nicht kochen könnte oder ich so gerne Burger in Fast-Food-Ketten in mich reinstopfe. Es gehört schlichtweg viel dazu, sich gesund zu ernähren. Sämtliche Bäcker, Metzger und Imbissbuden mit Fertigprodukten sind für mich verbotenes Land. Ich bin Zugpendler. Wenn man es genau nimmt, könnte ich nicht einmal den gemischten Salat am Bahnhof essen, weil die Dressings gezuckert sind. Im Supermarkt lauern an jeder Ecke Gefahren. Gesüßte eingelegte Gurken. Nährwerttabellen, die den tatsächlichen Zuckergehalt nicht preisgeben, sondern in den Zusätzen der Zutatenliste verstecken. Am Ende bleiben diverse Gemüsesorten, die ich mir allabendlich in die Pfanne oder den Backofen schnipsel. Auch nachts um 23 Uhr, wenn ich nicht früher heimkomme. Den schnellen Snack zwischendurch gibt es nicht mehr. Ich koche und plane und koche und packe alles säuberlich in Tupper für den nächsten Arbeitstag. Der Aufwand lohnt sich. Schon nach dreieinhalb Wochen habe ich 4,4 Kilo verloren und fühle mich so fit wie zuletzt in der Jugend vor den Knieoperationen. Ich bin tagsüber ausgeglichener und nachts müde.
Ich versuche mein Leben trotz der vier bis fünf einstündigen Trainingseinheiten pro Woche und der Ernährungsumstellung so normal wie möglich zu gestalten. Das ist nicht einfach. Auf Konzerten und an Abenden mit Freunden bin ich müde – davor war ich regelmäßig der letzte Gast. Bei der Ernährung mache ich Abstriche und esse hin und wieder Reis und, wenn es gar nicht mehr anders geht, eine Körnersemmel am Bahnhof. Die erste große Fettabbauphase, die am Anfang für Euphorieschübe sorgt, ist abgeklungen. Stattdessen baut der Körper nun auch Muskelmasse ab. Das macht das Fasten. Die Bodybuilder empfehlen mir, das Eigelb wegzulassen, fettarme Milch mit Wasser zu verdünnen und stärker die Muskeln zu trainieren. Das lehne ich ab. Ich will kein Muskelmann werden, sondern lediglich fit.
Mein einziger Bier-Ausrutscher unterläuft mir sechs Tage vor dem Ende. Warum? Kann ich nur mutmaßen. Wahrscheinlich rebellierte mein Kopf gegen die permanente Einschränkung. Die restlichen Tage habe ich wieder abstinent gelebt und am Ende zeigt die Waage 88,1 Kilo an – nur 600 Gramm über dem Idealwert. Das macht stolz. Aber weil ich mir sicher bin, dass ich mir ein Leben mit permanenter Selbstkontrolle nicht vorstellen kann, weiß ich nun auch, dass ich meine Schwächen im Blick haben muss. Und das ist mein Ziel. Jenes Wissen über Training und Ernährung habe ich nun und kann es einsetzen. Immer dann, wenn der Bauch wächst und der Rücken zwickt. Nur eine Leidenschaft für meinen Körper werde ich wohl nicht entwickeln – und das ist nun wirklich nicht schlimm.