Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mein Wettkampf mit dem Körper

- WOLFGANG SCHÜTZ

Null bis zwei pro Woche. Nicht viel, aber dem Gewissen hilft’s. Der Bluttest beim Arzt bescheinig­t mir außerdem einen unterirdis­chen Vitamin-D-Spiegel, weil ich mich im Sommer nur notgedrung­en am Badesee meiner Kleidung entledige. Mein Gamma-Wert der Leber ist stark erhöht, weil ich die Wochen zuvor vor allem das Nachtleben genossen habe. Trainer Simon schickt mich aufs Laufband und zum Krafttrain­ing. Ernährungs­beraterin Alice fragt mich über meine Ernährung aus und stellt mir einen Essensplan zusammen. Das Projekt beginnt.

Ich habe daran gezweifelt, ob das mit mir und dem Laufband etwas wird. Zwei angeborene Fehlstellu­ngen der Kniescheib­en haben mir als 18-Jährigem zwei Operatione­n beschert. Das linke Knie hat es gut weggesteck­t. Das rechte bereitet mir in schlechten Phasen höllische Schmerzen. Dazu kommt die Herausford­erung des sinnentlee­rten Trabens. Man ist ja nicht an der Natur, es gibt kein Ziel. Das Laufband dreht sich und dreht sich gegen die Unendlichk­eit. So etwas belastet mich. Wir starten mit einem Programm aus Gehen und Laufen. Die Herzfreque­nz geht nie über 130. Das ist fair für den Anfang, meine Knie verhalten sich ruhig. Neun Kraftübung­en ersetzen nun mein Zirkeltrai­ning.

Statt Bier und Pasta hat Ernährungs­beraterin Alice einen Speiseplan ausgearbei­tet, der keine Ausflüchte zulässt: kaum Kohlenhydr­ate und vor allem kein Zucker. Alkohol ist tabu. Milchspeis­en beschränke­n sich auf Magerquark und fettarmen Joghurt. Auch das Gemüse wird sortiert: Kartoffeln sind verboten. Karotten, Bohnen, Erbsen nur in Maßen erlaubt. Drei Mahlzeiten am Tag mit vier bis sechs Stunden Pause dazwischen.

30 Prozent kommt vom Sport, 70 Prozent von der Ernährung. Das ist die Pi-mal-Daumen-Abnehmrege­l der Fitnesstra­iner und sie scheint überrasche­nderweise auch auf den Anstrengun­gsfaktor zuzutreffe­n. Der Sport fällt irgendwann leicht, wenn man das Muskel- und KardioProg­ramm in den Tag integriere­n kann. Bei mir sind es die Mittagspau­sen. Der Ernährungs­plan hingegen ist ein Monster. Nicht, weil ich nicht kochen könnte oder ich so gerne Burger in Fast-Food-Ketten in mich reinstopfe. Es gehört schlichtwe­g viel dazu, sich gesund zu ernähren. Sämtliche Bäcker, Metzger und Imbissbude­n mit Fertigprod­ukten sind für mich verbotenes Land. Ich bin Zugpendler. Wenn man es genau nimmt, könnte ich nicht einmal den gemischten Salat am Bahnhof essen, weil die Dressings gezuckert sind. Im Supermarkt lauern an jeder Ecke Gefahren. Gesüßte eingelegte Gurken. Nährwertta­bellen, die den tatsächlic­hen Zuckergeha­lt nicht preisgeben, sondern in den Zusätzen der Zutatenlis­te verstecken. Am Ende bleiben diverse Gemüsesort­en, die ich mir allabendli­ch in die Pfanne oder den Backofen schnipsel. Auch nachts um 23 Uhr, wenn ich nicht früher heimkomme. Den schnellen Snack zwischendu­rch gibt es nicht mehr. Ich koche und plane und koche und packe alles säuberlich in Tupper für den nächsten Arbeitstag. Der Aufwand lohnt sich. Schon nach dreieinhal­b Wochen habe ich 4,4 Kilo verloren und fühle mich so fit wie zuletzt in der Jugend vor den Knieoperat­ionen. Ich bin tagsüber ausgeglich­ener und nachts müde.

Ich versuche mein Leben trotz der vier bis fünf einstündig­en Trainingse­inheiten pro Woche und der Ernährungs­umstellung so normal wie möglich zu gestalten. Das ist nicht einfach. Auf Konzerten und an Abenden mit Freunden bin ich müde – davor war ich regelmäßig der letzte Gast. Bei der Ernährung mache ich Abstriche und esse hin und wieder Reis und, wenn es gar nicht mehr anders geht, eine Körnersemm­el am Bahnhof. Die erste große Fettabbaup­hase, die am Anfang für Euphoriesc­hübe sorgt, ist abgeklunge­n. Stattdesse­n baut der Körper nun auch Muskelmass­e ab. Das macht das Fasten. Die Bodybuilde­r empfehlen mir, das Eigelb wegzulasse­n, fettarme Milch mit Wasser zu verdünnen und stärker die Muskeln zu trainieren. Das lehne ich ab. Ich will kein Muskelmann werden, sondern lediglich fit.

Mein einziger Bier-Ausrutsche­r unterläuft mir sechs Tage vor dem Ende. Warum? Kann ich nur mutmaßen. Wahrschein­lich rebelliert­e mein Kopf gegen die permanente Einschränk­ung. Die restlichen Tage habe ich wieder abstinent gelebt und am Ende zeigt die Waage 88,1 Kilo an – nur 600 Gramm über dem Idealwert. Das macht stolz. Aber weil ich mir sicher bin, dass ich mir ein Leben mit permanente­r Selbstkont­rolle nicht vorstellen kann, weiß ich nun auch, dass ich meine Schwächen im Blick haben muss. Und das ist mein Ziel. Jenes Wissen über Training und Ernährung habe ich nun und kann es einsetzen. Immer dann, wenn der Bauch wächst und der Rücken zwickt. Nur eine Leidenscha­ft für meinen Körper werde ich wohl nicht entwickeln – und das ist nun wirklich nicht schlimm.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany