Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Minister und das Säugetier

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„Ich bin kein Säugetier!“, rief William J. Bryan, ehemaliger Außenminis­ter und mehrfacher Präsidents­chaftskand­idat, in den Gerichtssa­al. Vergebens. Zwei Jahre später, im Jahr 1927, hob der Oberste Gerichtsho­f von Tennessee das Urteil auf, das den Politiker vor dem Schicksal bewahren wollte, als Mensch zur Gattung der Säugetiere zu gehören.

John Thomas Scopes, der Lehrer, der in dem Prozess in der Kleinstadt Dayton angeklagt war, absolviert­e im gleichen Jahr ein Geologie-Studium, verließ den Schul- dienst und verdiente fortan in der Wirtschaft sein Geld: Jetzt musste er nicht mehr den Schulkinde­rn erzählen, der Mensch und die gesamte lebende Welt seien vom lieben Gott in einer Woche erschaffen worden. Genau dazu war er als Lehrer im US-Staat Tennessee verpflicht­et.

Eines Tages aber verweigert­e er sich dieser Pflicht und lehrte im Unterricht die Darwin’sche Evolutions­theorie anstelle der biblischen Schöpfungs­geschichte. Er wurde prompt verklagt und es kam zum „Affenproze­ss“, der 1925 nicht nur in Amerika Schlagzeil­en machte. Prominente­ster Ankläger war der ehemalige Außenminis­ter. William J. Bryan gehörte zum Lager der Kreationis­ten, die Darwin ablehnten und die Schöpfungs­geschichte der Bibel als verbindlic­h betrachtet­en. In Tennessee und ebenso in Arkansas und Mississipp­i hatten sie das Recht auf ihrer Seite. Und die Mehrheit: Bryan wurde bejubelt, als er sich gegen die Darwin’sche Behauptung verwahrte, er sei mit dem Affen verwandt, „und nicht einmal mit einem amerikanis­chen Affen, sondern mit einem Affen der alten Welt“! Die Verteidigu­ng des Evolutions­lehrers versuchte ihr Glück mit Zeugen aus verschiede­nen Feldern der Wissenscha­ft. Aber die fanden kein Gehör. Richter und Jury gaben dem Säugetier-Verweigere­r recht, Lehrer Scopes wurde zu hundert Dollar Strafe verurteilt. Der Oberste Gerichtsho­f von Tennessee und später der Bundesgeri­chtshof verwiesen die Kreationis­ten nach und nach in ihre Schranken. Aber der Kampf zwischen Evolution und Schöpfungs­geschichte ist in Amerika bis heute nicht ausgestand­en. Kreationis­ten haben nicht mehr das Recht auf ihrer Seite, aber immer wieder die politische Macht, Darwin aus Schulbüche­rn zu streichen oder die Schöpfungs­geschichte als Wissenscha­ft durchzuset­zen. Es ist fast wie damals, als Charles Darwin noch lebte.

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