Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Extraportion Hausaufgaben
Bildung In Meitingen helfen Freiwillige ausländischen Schülern, damit sie trotz Sprachbarrieren im Unterricht schnell gut mitkommen. Das Modell funktioniert, hat aber ein Problem
Meitingen/Westendorf Jeden Montag ist der Schultag von Rodrigo da Silva etwa eineinhalb Stunden länger als an den übrigen Tagen der Woche. Dann nämlich holt Leonor Rigel um 16 Uhr den 13-Jährigen direkt an der Mittelschule in Meitingen ab. Schnurstracks geht es zu Rodrigo da Silva nach Hause nach Westendorf. Dann steht eine Extralektion in Mathe, Deutsch und all den anderen Schulfächern auf dem Programm.
Der Grund für die Extraschicht: Rodrigo da Silva kommt aus Portugal und lebt seit zwei Jahren in Deutschland. Entsprechend schwierig ist es auch für ihn noch, das zu verstehen, was in der Schule unterrichtet wird. Leonor Rigel, die in ihrer Heimat Mexiko einst Lehrerin war, unterstützt ihn gerne. In der Zeitung hatte sie davon gelesen, dass Hausaufgabenbetreuer gesucht werden. Jetzt ist sie selbst eine von ihnen – und wünscht sich noch weitere ehrenamtliche Kollegen und Kolleginnen. Denn der Bedarf ist groß.
In der Grundschule in Meitingen gab es bei einer Abfrage vor etwa einem halben Jahr 20 Kinder mit großem Förderbedarf. An der Meitinger Mittelschule waren es zum selben Zeitpunkt etwa 36 Kinder. So kann Achim Zwick vom Markt Meitingen die ungefähren Zahlen im Ort beziffern und erklärt auch: „Ursprünglich entwachsen sind Angebote wie die Hausaufgabenbetreuer dem Thema Asyl. Heute hat sich der Bedarf vergrößert und verändert. Auch europäische Ausländer brauchen Unterstützung, und so wurde aus dem Asylthema ein Migrationsthema.“Die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Marktgemeinde funktioniere dann so: In jeder der beiden genannten Schulen gibt es eine Kontaktperson. Lehrer melden spezielle Bedarfe. Die Gemeinde sucht dann einen ehrenamtlichen Hausaufgabenbetreuer. Viel Auswahl hat Zwick dabei wahrlich nicht, und so appelliert er deutlich: „Wer Interesse hat, ehrenamtliche Hausaufgabenbetreuung anzubieten, kann sich direkt bei mir melden.“
Die 20 Mitschüler, die ähnlich wie Rodrigo da Silva unterstützt werden, kommen übrigens allesamt nicht aus Deutschland, sondern aus der Ukraine, aus Syrien, aus Rumänien, aus Italien oder aus Albanien. Rodrigo da Silva selbst lebt mit seinen Eltern in Westendorf. Seit acht Jahren ist sein Vater in Deutschland, lebte einige Jahre in Augsburg und ist nun seit zwei Jahren in Westendorf. Seine Mutter kam nach, und vor zwei Jahren war es auch für Rodrigo da Silva so weit. Er kam aus seiner alten Heimat Portugal in seine neue Heimat Westendorf.
Egal, ob Bruchrechnungen, das menschliche Skelett oder ein Diktat auf dem Programm stehen, Leonor Rigel setzt an den Punkten an, die der 13-Jährige vom Unterricht mit nach Hause bringt. „Entweder es wird gezielt auf eine Probe gelernt, oder wir üben Diktate, leise lesen, laut lesen und übersetzen“, erklärt die Mexikanerin die große Band- breite an Möglichkeiten. Von Vorteil ist, dass sich die beiden auf Portugiesisch und Spanisch unterhalten können. Das hilft, um Rodrigo da Silva manche Themen kurz in seiner Muttersprache zu erklären. Rodrigo da Silva versteht viel, doch in der Schule sprechen alle sehr schnell, erklärt er. Das bereitet ihm Schwierigkeiten. Dennoch erklärt er mit strahlenden Augen, dass gerade Deutsch sein Lieblingsfach sei. Mathematik hingegen liege ihm ganz und gar nicht. Was er einmal werden möchte, weiß der 13-Jährige hingegen schon: Automechaniker oder Polizist. Und er schwärmt für den Karatesport. Regelmäßig geht er zum Training.
Auch Alice Jäger hat einen Schützling. Einmal in der Woche kümmert sich die gebürtige Rumänin um einen Neuntklässler, der die Mittelschule in Meitingen besucht. Texte lesen, übersetzen, Worte zusammensetzen und Artikel lernen, stehen dann auf dem Stundenplan. Seit sie selbst 14 Jahre alt war, hat die Bilanzbuchhalterin anderen Kindern Deutschunterricht gegeben. Die Voraussetzungen, um eine gute Hausaufgabenbetreuerin werden zu können, beschreibt Alice Jäger so: „Die Personen brauchen den guten Willen und die Fähigkeit, ihren Schützlingen etwas richtig beibringen zu können.“Das Engagement ist zeitlich überschaubar und flexibel planbar – und die Kinder profitieren sehr davon. Auch Leonor Rigel fällt nur eine recht überschaubare Liste an Voraussetzungen ein, um Hausaufgabenbetreuer zu werden: Freude an der Arbeit mit Kindern und die Ambition anderen zu helfen, sei bereits genug.