Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Spätes kann so faszinierend sein
Sinfoniekonzert Augsburgs Philharmoniker und ihr Chefdirigent haben sich „Letzte Werke“vorgenommen. Und vor allem ein Orchestermitglied kam dabei groß heraus
Dem Berichterstatter war unwohl zumute. So etwas wie die Fuge am Ende von Beethovens spätem B-Dur-Streichquartett war ihm noch nicht untergekommen. „Den Sinn des fugirten Finale wagt Ref.[erent] nicht zu deuten“, seufzt der Kritiker der Uraufführung im Jahre 1826 und streckt die Feder – „für ihn war es unverständlich, wie Chinesisch“.
Späte Werke, letzte Werke: In der Musik sind sie nicht immer leicht zu verstehen, schon gar nicht immer auf Anhieb. Mit der relativen Nähe der Meister zum eigenen Tod hat die oftmals besondere musikalische Sprache des Späten, Letzten jedoch weit weniger zu tun als mit der Tatsache, dass es sich hier um Erzeugnisse von reifen Könnern handelt, die dem Kompromiss nicht mehr zwingend folgen wollen und deshalb Grenzüberschreitungen wagen. So klingt diese Musik bei der ersten Begegnung nicht selten spröde, unnahbar, eben wie eine – siehe oben – fremde Sprache. Die sich im Nachhinein oft genug als künstlerischer Fortschritt herausstellt.
Das Faktum der späten Entstehung einte – wenngleich in verschiedener Ausprägung – die Werke des jüngsten Sinfoniekonzerts der Augsburger Philharmoniker. „Letzte Werke“, so das Programmmotto, von Beethoven, Nielsen, Tschaikowsky: Den Anfang in der gut be- suchten Kongresshalle machte die besagte Beethoven-Fuge, die der Komponist unter dem Eindruck des Kopfschüttelns seiner Zeitgenossen vom übrigen Streichquartett abtrennte und unter eigener Opuszahl als für sich selbst stehende „Große Fuge“veröffentlichte.
Wer das Stück das erste Mal in seiner angestammten Fassung von einem Streichquartett hört, ist auch heute noch überwältigt von der Schroffheit zumindest des Beginns. In der Streichorchester-Transkription von Rudolf Barschai tönt das nicht mehr ganz so felsig und kahl, wiewohl die Philharmoniker unter Domonkos Héja mit kernigem Ton und wenig Vibrato keineswegs zur Vernebelung neigten. Barschais Version enthält eine Ausdifferenzierung des Klangs, was eindrucksvoll beim Übergang in den zweiten Teil des Stücks zu hören ist, wo statt des vorangehenden Streicher-Tuttis nun plötzlich nur noch die Stimmführer quasi Quartett musizieren. Überraschungsmomente wie diese machen Barschais Version zugänglicher als die Urfassung, zumal die Philharmoniker in zwar strengem Duktus, aber mit Glut musizierten.
Auch Carl Nielsen war in seinem letzten Orchesterwerk hörbar nicht an Rücksichten gelegen. Sein Klarinettenkonzert ist ein herbes Beispiel musikalischer Sachlichkeit, das sich jeglicher konzertant-solistischer Schmeichelei verweigert. Bettina Aust, die wunderbare Soloklarinet- tistin des Augsburger Orchesters, hätte es sich mit Mozart oder Weber gewiss einfacher machen können, aber nein, sie setzte auf Nielsen, und hatte natürlich ihre Gründe. Entfaltet doch dieses Konzert, 1928 entstanden, ein breites Spektrum musikalischer Charaktere, in dem militärisch zackige Gesten (die Snaredrum spielt eine bedeutende Rolle) ebenso ihren Platz haben wie ätherisch schwebende Passagen. Für einen derart musikantischen Solistentypus, wie ihn Bettina Aust vorstellt, ist solch ein Panoptikum eine Herausforderung. Mühen mit dem Instrument sind Aust nicht anzumerken, alles, was sich schwierig anhört, scheint ihr erst richtig Spaß zu machen, Registerwechsel überbrückt sie selbst im Extremfall spielend, Läufe sausen bei ihr schwerelos hinauf und hinab. Ihr größtes Plus aber, gerade bei diesem Konzert: dass all das Disparate wie aus einem Guss erklang. Zurecht starker Applaus, von Aust bedankt mit Strawinskys Solostück Nummer drei.
Tschaikowskys 6. Sinfonie, die „Pathétique“, in eine Reihe zu stellen mit Werken von einer gewissen klanglichen Sprödigkeit, das wäre natürlich ein Widerspruch – wenige Werke des Komponisten sind populärer als dieses. Und doch ist auch diese seine letzte Sinfonie ein Werk, das seinerzeit neue Wege beschritt, durch die zwei Scherzi im Mittelteil und vor allem durch die Verwendung eines Adagios als finalem Satz. Bei aller Zugänglichkeit aber entfaltet sich diese Musik nicht von selbst, auch sie bedarf der gestaltenden Hand, was in der Anfangsphase noch nicht recht gelang, als bis weit hinein in die Exposition Dirigent Héja und sein Orchester noch am Suchen nach dem einen, alles mit sich ziehenden Strang waren.
Dann aber, spätestens mit dem Seitenthema, standen Pathos und Tiefgründigkeit, schlank-leidenschaftlicher Orchesterklang und Wechselspiel-Präzision im rechten Verhältnis zueinander, gelang Héja das sinnfällige Strukturieren der großen Zusammenhänge gerade in den so bedeutsamen Übergängen. Der zweite Satz, dieser Als-ob-Walzer im Fünfvierteltakt, trug den zauberhaften Charakter einer Tanzerinnerung (statt offener Tanz zu sein), während das folgende Allegro, als der sich über Dutzende Takte anbahnende Marsch endlich voll erstrahlte, rundweg ein Orchesterfest war – verständlich, dass etliche Zuhörer der Versuchung zum Spontanapplaus nicht widerstehen konnten. Würdig dann, in gemessener Trauer, der finale Abgang, das Verschwinden im klanglichen Nichts. Ein starker Auftritt der Philharmoniker und ihres Chefs Héja. Das ist seine, das ist ihre Musik.
Der dritte Satz, ein Fest für das Orchester