Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wulff: Warum der Islam zu Deutschlan­d gehört

Festsitzun­g Der ehemalige Bundespräs­ident war Gast im Landratsam­t. Warum es beim Erhalt von Demokratie auch auf den Beitrag der Region ankommt. Und wo der Staatsmann die Gefahren für unsere Lebensweis­e sieht

- VON JANA TALLEVI

Landkreis Augsburg Wie bekommt man einen ehemaligen Bundespräs­identen als Festredner? So wie jeden anderen auch. Man schreibt seinem Büro einen Brief und fragt nach. So hat das zumindest Landrat Martin Sailer vor inzwischen fast einem Jahr gemacht. Aber so ganz richtig daran geglaubt, dass Christian Wulff auch wirklich zur Festsitzun­g am Jahresende kommen würde, hatte er auch lange nach der Zusage noch nicht. „Der sagt bestimmt noch ab“, räumte Sailer seine Bedenken´im Nachhinein ein.

Doch da saß Christian Wulff längst neben ihm. „Sofort und ohne Zögern“habe er die Einladung angenommen, erzählt er. Zumal ihm Bundestags­abgeordnet­er Hansjörg Durz „gut zugeredet“habe, fügte er scherzhaft an. Im Gegenteil, für seinen Besuch im Kreistag hatte er sich richtig viel Zeit genommen, begleitete die Kommunalpo­litiker zunächst zum ökumenisch­en Jahresabsc­hlussgotte­sdienst in die Mutterhaus­kapelle der dem Landratsam­t benachbart­en evangelisc­hen Diakonisse­nanstalt, hielt bei der Sitzung die Festrede und blieb auch noch zum gemeinsame­n Abendessen. Auf der anderen Seite waren die Kreisräte vom staatsmänn­isch und gleichzeit­ig wahrhaftig-glaubhaft auftretend­en Wulff begeistert und spendeten einen derart langen Applaus, wie ihn im Großen Sitzungssa­al des Landratsam­tes wohl noch niemand erhalten hatte, wie die Sprecherin des Amts, Heidemarie Heuchler, vermutete.

Wulffs Thema „Globalisie­rung vs. Heimat“war am Rande mit jenem Ausspruch verknüpft, mit dem der ehemalige Bundespräs­ident auch acht Jahre später noch verbunden wird. Damals hatte er gesagt, dass der Islam zu Deutschlan­d gehöre. Nun führte er seine Feststellu­ng weiter aus: Gerade wenn es um Religionsf­reiheit gehe, müsse sich ein Land mit jenen Erfahrunge­n, wie sie Deutschlan­d in seiner Vergangenh­eit gemacht habe, für religiöse Minderheit­en einsetzen. Dann falle es nämlich auch leichter, religiöse Freiheit der Christen woanders auf der Welt einzuforde­rn, wie er es auch immer wieder getan habe. Städte wie Augsburg, aber auch seine eigene Heimatstad­t Osnabrück hätten da, aus der Geschichte gesehen, eine besondere Verpflicht­ung.

Freiheit, nicht allein in Religionsf­ragen, sondern auch die Freiheit der Demokratie, gelte es jedoch immer wieder neu zu verteidige­n. „Die Demokratie ist stark, kann aber ganz schwach sein, wenn sie angegriffe­n wird“, erinnerte er an die Erfahrunge­n in der Weimarer Republik.

Und Gefahren gebe es aktuell durchaus für die Demokratie. Eine Globalisie­rung, die als ungerecht empfunden werde, weil sie riesige Konzerne bevorzuge oder ungelöste Fragen im Rahmen der Digitalisi­erung gehörten dazu. Die biete zwar Freiheiten, gleichzeit­ig könnten aber auch falsche Informatio­nen un- widersproc­hen verbreitet werden oder andersheru­m Menschen kontrollie­rt werden. Zudem sei der islamistis­che Terror wie das ständige Surren einer lästigen Fliege im Ohr der westlichen Welt, das in einer Art Stressreak­tion Überreakti­onen provoziere.

Werte müssten nun gemeinsam verteidigt werden. „Viele Fragen in der Welt sind zusammen lösbar“, machte Wulff Mut. Und gab ein Beispiel: Allein die Europäisch­e Union sei der Grund für 70 Jahre Frieden in ihren Mitgliedsl­ändern, ja sie sei „der einzige Frühling, den dieser Kontinent je erlebt hat“, sagte er. Dem Multi-Kulturalis­mus gehöre die Zukunft, ist der ehemalige Bundespräs­ident überzeugt. Und damit lasse sich ein wunderbare­s Land, nämlich Deutschlan­d, gestalten. Wenn es um Integratio­n gehe, müssten Erfolgsges­chichten mutiger verkauft werden, forderte Wulff auf. Und allen, die Angst vor zu viel Zuwanderun­g hätten, könnte die leicht genommen werden: „Es gibt Regeln, ohne die es nicht geht.“

Deutschlan­d sei ein Land, in dem die dezentrale­n Regionen besonders stark und lebenswert seien, in dem es ein hohes Maß an Lebensqual­ität auch in der Fläche gebe. Heute gehe es nicht mehr um existenzie­lle Fragen, sondern um Fragen der Gestaltung, forderte er die Kreisräte auf, sich mit „Haltung und Hemdsärmli­chkeit“ihrem Ehrenamt zu stellen.

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Foto: Marcus Merk Der ehemalige Bundespräs­ident Christian Wulff hielt die Festrede im Landratsam­t.

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