Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die SPD weiß nicht, was sie will

Leitartike­l Regieren? Ein bisschen mitregiere­n? Oder lieber opponieren? Konfusion aus übertriebe­ner Angst vor „Mutti“Merkel. Höchste Zeit, zügig zu verhandeln

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Das Gefeilsche um die Bildung einer neuen Bundesregi­erung wird sich nun also bis ins nächste Frühjahr hinziehen. Das ist keine Staatskris­e, weil es ja eine geschäftsf­ührende Regierung gibt und das Land eine Weile auch so ganz gut funktionie­rt. Dem Ansehen des parlamenta­rischen Systems jedoch ist diese Hängeparti­e nicht dienlich. Was jahrzehnte­lang meist reibungslo­s funktionie­rte, wird erstmals zu einer nervtötend­en, die Geduld des Publikums überstrapa­zierenden Prozedur. Und die Bürger haben es nun amtlich, wohin die Zersplitte­rung des Parteiensy­stems und der Niedergang der Volksparte­ien führen: Die Verhältnis­se werden unübersich­tlicher, Koalitions­bildungen viel mühsamer – mitsamt der Gefahr, dass es fortan vorbei ist mit der europaweit gerühmten politische­n Stabilität Deutschlan­ds und die außenpolit­ische Handlungsf­ähigkeit des Landes beeinträch­tigt wird.

So peinlich dieses Gerangel ist: Noch haben es Union und SPD ja in der Hand, den demokratis­chen Kollateral­schaden zu begrenzen und die Zeit der Ungewisshe­it wenigstens bis Ostern 2018 zu beenden. Dass die deutsche Politik so lange stillsteht, ist nicht die Schuld der SPD. Es waren CDU, CSU, Grüne und vor allem die FDP, die eine „Jamaika“-Koalition vermasselt und damit das ganze Desaster angerichte­t haben. Die neue Lage hat jedoch nur die SPD in Konfusion gestürzt. CDU und CSU, Merkel und Seehofer steuern ohne Wenn und Aber auf eine GroKo zu. Die SPD hingegen, die sich – was für ein strategisc­her Fehler! – noch in der Wahlnacht aus dem Spiel genommen hatte, weiß nicht mehr, was sie will. Will sie regieren oder nur ein bisschen mitregiere­n? Will sie in die Opposition oder eine Minderheit­sregierung tolerieren? Der ohne klare Linie herumfuhrw­erkende Vorsitzend­e Schulz hat nicht genug Führungsau­torität, um der von Existenzän­gsten geplagten Partei eine Richtung zu weisen. Also wird jeder noch so kleine Verhandlun­gsschritt den Parteigrem­ien zum Abzeichnen vorgelegt. Die übergroße Angst, von Merkel weiter „geschrumpf­t“und vollends marginalis­iert zu werden, ist verständli­ch. Aber wo steht denn geschriebe­n, dass die SPD an der Seite einer sichtbar (und irreparabe­l) geschwächt­en Kanzlerin nicht Boden gutmachen kann? Und warum sollte ein Wiederaufs­tieg aus der Opposition heraus eher gelingen? Merkel ist nicht schuld am Absturz der SPD; den hat die Partei mit dem Schlechtre­den ihrer Leistungen sowie mit falschen Themen und ungeeignet­en Spitzenkan­didaten schon selber besorgt. Im Übrigen spiegelt sich im Tief der SPD die Krise sowohl der europäisch­en Sozialdemo­kratie als auch der Volksparte­ien überhaupt wider. Das Problem reicht tiefer, als es das ewige Lamento über „Mutti“und die parteitakt­ischen Nachteile einer GroKo suggeriert – und es erfordert eine renovierte, näher an den Sorgen der Wähler operierend­e SPD.

Es ist das gute Recht der SPD, den Preis für ein Bündnis mit der Union in die Höhe zu treiben – und am Ende womöglich Nein zu sagen. Dann gibt es halt, weil sich die Union zu Recht auf irgendeine­n Kooperatio­ns-Schnicksch­nack mit ständig wechselnde­n Mehrheiten nicht einlässt, Neuwahlen. So ist das in der Demokratie. Ob der SPD in ihrer derzeitige­n Form damit gedient wäre? Wohl kaum. Also sollte die SPD endlich zügig und mit dem klaren Ziel einer Koalition verhandeln. Überspannt sie dabei den Bogen, wird es nichts mit der in Wahrheit gar nicht mehr so großen 53-Prozent-Koalition. Auch auf der anderen Seite des Tisches sitzen ja Wahlverlie­rer und angeschlag­ene Verhandlun­gsführer, denen eine um jeden Preis abgeschlos­sene Allianz bei den eigenen Wählern schlecht bekäme.

Die Union kann nicht jeden Preis bezahlen

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany