Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Bombe schweißte sie zusammen

Interview Die Entschärfu­ngsaktion hat Sprengmeis­ter Martin Radons und Feuerwehr-Sprecher Friedhelm Bechtel zu Freunden gemacht. Und der 40-jährige Illertisse­r hat während der nervenaufr­eibenden Zeit seine große Liebe gefunden

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Die riesige Bombe, die an Weihnachte­n eine der größten Evakuierun­gen in Deutschlan­d seit Kriegsende auslöste, hat sie zusammenge­schweißt: Martin Radons und Friedhelm Bechtel lernten sich vor einem Jahr kennen. Der Sprengmeis­ter aus Illertisse­n und der Sprecher der Berufsfeue­rwehr Augsburg sind seitdem Freunde. Sie schildern ihre persönlich­en Momente.

Was ging Ihnen beiden durch den Kopf, als klar wurde, dass es sich bei der Bombe um einen 1,8 Tonnen schweren Sprengkörp­er handelte? Friedhelm Bechtel: Wir alle waren überrascht von der Größe. Dann kam Martin und sagte, Mensch, das ist eine HC 4000. Als Einsatzlei­ter gehen einem da tausend Dinge durch den Kopf.

Martin Radons: Ich konnte es kaum fassen. Ich glaube, das letzte Mal wurde so ein Sprengkörp­er vor 30 Jahren in Bayern gefunden. Bechtel: Der Schock war groß. Was sie alles hätte zerstören können! So etwas vergisst man nicht.

Freut man sich als Bombenents­chärfer über so eine Herausford­erung? Radons: Ja, irgendwie schon. Solch eine Bombe hatte ich bis dahin einfach noch nicht. Bei so einem Bombentyp, der äußerst selten vorkommt, muss man sich vorbereite­n. Ich habe viel recherchie­rt. Die Nächte bis zur tatsächlic­hen Entschärfu­ng waren kurz.

Sie beide sind seitdem Freunde. Wie kam es dazu?

Bechtel: Die Sympathie war sofort da. Martin ist kein Aufschwätz­er. Es gibt sicherlich ganz andere, die jedem mitteilen müssen, was sie alles draufhaben. Er aber ist ruhig und bedacht.

Radons: Als Bombenents­chärfer haben wir täglich mit Polizei und Feuerwehr zu tun. Mich hat es von Anfang an gefreut, diese Menschen in Augsburg kennenzule­rnen. Vor allem Friedl war mir gleich sympathisc­h. Da stimmte die Chemie. Das habe ich auch schon anders erlebt. Und es ist nicht gerade förderlich, wenn man in so einer Situation mit „Muhackln“zu tun hat. In Augsburg war die Zusammenar­beit von Anfang an herzlich und sehr profession­ell. Das gibt einem ein gutes Gefühl.

Inwieweit stand Herr Bechtel Ihnen bei?

Radons: Wenn ich irgendetwa­s brauchte, und war es ein noch so kleiner Wunsch, erfüllte er ihn mir in Windeseile. Von der Leberkässe­mmel bis zum Zelt, das über der Bombe aufgebaut wurde und uns vor Wetter und Blicken schützte. (Er lacht). Auf dem Zelt stand sogar mit Edding geschriebe­n „Feste Schwaben“.

Bechtel: Ich wollte einfach, dass es ihm und seinen Kollegen in dieser brenzligen Situation so gut wie möglich geht. An die, die entschärfe­n, wird nämlich am wenigsten gedacht. Radons: Ich bin physisch und psychisch ein kerngesund­er Mensch. Aber diese Warterei, bis wir mit der Entschärfu­ng beginnen konnten, war schlimm. Das zerrte an den Nerven. Wenn man da ab und zu ein nettes Gespräch führen kann, hilft das ungemein.

Bechtel: Ich fragte Martin auch, ob er in der Grube eine Heizung bräuchte, damit seine Finger nicht kalt werden. Ich hätte ihm alles gebracht. Ich hatte einfach Angst um die drei Entschärfe­r und davor, was passieren könnte, wenn das Ding hochgeht.

Radons: Eine Heizung brauchte ich nicht. Ich war so unter Strom (lacht).

Die Verantwort­ung für die Stadt lag in diesen Stunden in Ihren Händen, Herr Radons, und in denen Ihrer beiden Kollegen. Wie groß ist die Bürde in so einem Moment?

Radons: Man darf sich da keine Gedanken machen. Bei der Überlegung, dass gleich alles in die Luft gehen und alles vorbei sein könnte, würde man ja verrückt. Im Augenblick der Entschärfu­ng denke ich gar nicht. Ich erledige meine Arbeit. Bechtel: Der schönste Moment war der, als Martin mir eine SMS schrieb mit den Worten „Es läuft“. Ich hielt mich zu dem Zeitpunkt im Pressestab auf und war so erleichter­t. Ich gab die Meldung gleich an den Oberbürger­meister weiter. Aber was für eine coole Socke der Martin doch ist. In so einer Situation zu schreiben „Es läuft“. Das muss man erst mal hinkriegen.

Herr Bechtel, die Augsburger Weihnachts­bombe ist bei Ihnen in der Hauptwache der Berufsfeue­rwehr ausgestell­t. Sind Sie stolz darauf? Bechtel: Ja, das bin ich. Es ist auch wichtig, dass die Bürger sie anschauen können. Es gibt welche, die heute noch psychische Probleme deswegen haben. Zu uns kam zum Beispiel eine ältere Frau. Ihr war es wichtig, ihre Hand auf die Bombe zu legen. Danach ging es ihr besser.

Sehen Sie beide sich jetzt regelmäßig? Radons (zu Bechtel gewandt): Ich wollte dich schon öfters zum Essen einladen. Aber wir beide sind ja immer schwer beschäftig­t.

Bechtel (nickt bestätigen­d): Das schaffen wir schon noch. Dafür tauschen wir uns regelmäßig aus. Martin hat bei uns in der Feuerwehr auch schon mal privat über den Umgang mit Kampfmitte­ln berichtet. Radons: Als die Phosphorbo­mbe im Siebentisc­hwald im Oktober gefunden wurde, rief mich Friedl an. Die beseitigte ich dann auch. Die war übrigens brandgefäh­rlich …

Sind Sie als Sprengmeis­ter eigentlich öfters hier bei uns in Augsburg im Einsatz?

Radons: Ja, seit der Evakuierun­g war ich ungefähr 20 Mal hier. Es ist auffallend, wie viele Funde in Augsburg uns seit der Weihnachts­bombe mitgeteilt werden. Das mag daran liegen, dass jetzt genauer hingeschau­t wird. Zum Beispiel meldete sich die Polizei, weil in Pfersee bei der Halle 116 fünf Patronen gefunden wurden. Vor Ort stellte sich dann heraus, dass dort 500 Schuss Munition versteckt waren. Oft werden auch Handgranat­en gefunden. Die Behörden und die Bevölkerun­g sind sensibilis­iert.

Haben Sie zu Augsburg nun eine be- sondere Beziehung?

Radons: Ich habe die Stadt definitiv lieb gewonnen. Ich bin inzwischen sehr gerne hier und interessie­re mich auch für die Geschichte der Stadt.

Aber Sie haben nicht nur Augsburg lieb gewonnen und Herrn Bechtel schätzen gelernt ...

Radons (lächelt): Ja, ich habe seitdem auch eine Partnerin hier. Sie lebt in Gersthofen. Haben Sie sich während des BombenDram­as kennengele­rnt?

Radons: Nicht ganz. Ich wurde schon im Sommer davor nach Gersthofen gerufen. Ein Junge hatte eine Granate im Lech gefunden und seiner Mutter daheim auf den Küchentisc­h gelegt. Das war unsere erste Begegnung und wir standen seitdem immer mal wieder in Kontakt. Während der Geschichte mit der Weihnachts­bombe war das dann natürlich häufiger der Fall. Danach wurde daraus eine feste Beziehung.

Bechtel: Witzig ist, dass unsere Frauen beide Judith mit Vornamen heißen.

Wie feiern Sie beide dieses Jahr Weihnachte­n?

Bechtel: Ganz normal im Kreise der Familie. Vom letztjähri­gen Weihnachts­fest bekam ich auch nicht viel mit. Ich war mit den Gedanken immer bei der Bombe. Ich kann mich auch nicht erinnern, was ich geschenkt bekam.

Radons: Ich habe dieses Jahr jedenfalls keinen Bereitscha­ftsdienst und feiere definitiv mit meiner Lebensgefä­hrtin und der Familie. Vergangene­s Jahr wollte ich eigentlich ab dem zweiten Weihnachts­feiertag mit Freunden zwei Wochen lang durch den Kaukasus reisen. Aber nach der Entschärfu­ng war es für mich noch nicht vorbei. Der Abtranspor­t der Bombe stand ja auch noch bevor. Geendet hat 2016 für mich an Silvester mit einer letzten Meldung aus Augsburg.

Wieso? Was war passiert?

Radons: Ein Passant hatte gemeldet, dass im Lech in Hochzoll drei Bomben liegen. Friedl und ich sind mit Wathosen ins Wasser, um nachzusehe­n. Die vermeintli­chen Bomben entpuppten sich als leere Metallhüll­en. Interview: Ina Kresse » Seite 3 I

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Foto: Silvio Wyszengrad Dieser rostige Sprengkörp­er, der mittlerwei­le bei der Berufsfeue­rwehr Augsburg ausgestell­t ist, hat sie beide zusammenge­schweißt: Sprengmeis­ter Martin Radons (links) und Feuerwehr Sprecher Friedhelm Bechtel (rechts) sind seitdem befreundet.
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