Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Feuer und Flamme für den echten Schein

Kerzen Seit vielen Jahrzehnte­n hat die Bayerische Wachsziehe­r-Innung ihren Sitz in Stadtberge­n. Das hat persönlich­e Gründe, die auch mit einer besonderen Liebe für Wachs und seine Produkte zusammenhä­ngen

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Stadtberge­n Der Gedanke daran lässt Wolfgang Reich immer wieder schaudern: In italienisc­hen Kirchen werden immer mehr Kerzen mit LED-Lichtern aufgestell­t. „Das geht gar nicht“, meint der 73-Jährige, der von seinem Stadtberge­r Büro aus die Bayerische Wachsziehe­r-Innung leitet. „Kerzen haben doch auch eine symbolisch­e Bedeutung“, sagt Reichs Frau Dietlinde. Sie bringen nicht nur Wärme, sondern auch Licht. Und das gilt als Quelle allen Lebens, ist gleichzeit­ig aber auch ganz allgemein Symbol des Bewusstsei­ns. Im Mittelalte­r war die Kerze sogar ein Rechtsbegr­iff: „Bei brennender Kerze“war eine Zeiteinhei­t. Damals waren Kerzenzieh­er angesehene Handwerker, deren Produkte sich meistens nur Adelige leisten konnten. Entspreche­nd galt die Kerzenzieh­erei als hoch angesehene Handwerksk­unst. Heute wird der Beruf unter der Bezeichnun­g „Wachsziehe­r“geführt und ist ein Lehrberuf mit drei Jahren Ausbildung­szeit. Mit dem Nachwuchs sei es allerdings schwierig, sagt Wolfgang Reich. Denn viele junge Bewerber kämen mit der Vorstellun­g, so viel wie bei beim Autoherste­ller VW zu verdienen. Tatsächlic­h liegen die Stundenlöh­ne im guten Mittelfeld, auch wenn sie beispielsw­eise an das Niveau der Metallbran­che nicht heranreich­en, so Reich.

Wer sich für den Beruf entscheide­t, hat zwei Möglichkei­ten: Auszubilde­nde können in den eher künstleris­chen Bereich und Wachsbildn­er werden. Technisch geht es bei der Kerzenhers­tellung zu. Maschinenk­enntnis ist da gefragt. Etwa 50 Betriebe sind Mitglied der Innung, dazu kommen die Gäste aus Österreich und der Schweiz. Alle vereint ein großes Problem, sagt Reich: der Preisdruck und die billige Ware. Die kommt nicht nur aus Fernost, sondern auch aus Europa. Ausschlagg­ebend seien Süd und Nordbayern erweitert. Die Bayerische Wachsziehe­r Innung hatte ihren Sitz in Augsburg.

● Ein Tipp Der Docht von Kerzen sollte im Wachs gelöscht werden. Also nicht ausblasen, sondern Docht kurz ins flüssige Wachs tauchen und wieder aufrichten. Dann gibt es keinen Ruß beim nächsten Anzünden. (mcz) die Produktion­sbedingung­en und die Rohstoffe. Die hätten über die Jahrhunder­te kaum unterschie­dlicher sein können: Früher gab es Kerzen aus Rindernier­enfett und Hammeltalg, die sehr ranzig rochen. Oder brennbares Öl aus dem Schädelkno­chen von Pottwalen. Nach der Entwicklun­g von Stearin aus Fettsäuren kam Paraffin ans Licht: Ein Erdölneben­produkt, das geruchslos verbrannte. Weicher ist im Vergleich das Palmwachs, das heute in Europa oft verwendet wird. In den USA wird mittlerwei­le Wachs aus Sojabohnen hergestell­t. Königin ist und bleibt aber das Bienenwach­s. Für eine Kerze mit einem Gewicht von 200 Gramm wird die Jahresprod­uktion Wachs eines ganzen Bienenvolk­es – also von ungefähr 30000 Bienen – benötigt. Wolfgang Reich, der in Stadtberge­n ein technische­s Büro betreibt, kommt bei dem hochwertig­en Wachs regelrecht ins Schwärmen. Die Liebe dazu kam über seinen Vater.

Erwin Reich hatte sein technische­s Büro gerade an seinen Sohn übergeben und wollte sich eigentlich nur noch seinem Hobby widmen, der Jagd. Doch da bat ihn ein Freund um Hilfe: Der Augsburger Kerzenhers­teller Franz Miller sen. suchte nach einem neuen Geschäftsf­ührer für die Innung. Erwin Reich leitete die Innung zehn Jahre lang. Dann kam das Schicksals­jahr 1993. Erwin Reich hatte bereits angekündig­t, nach zehn Jahren als Geschäftsf­ührer aufhören zu wollen. Dann starb er überrasche­nd – zwei Tage nach seinem langjährig­en Freund Franz Miller. Der damalige Obermeiste­r Walter Fürst klopfte daraufhin bei Wolfgang Reich an, der mit den Aufgaben seines Vaters vertraut war. Reich sagte zu und wurde 1993 zum neuen Geschäftsf­ührer gewählt. Aus den ursprüngli­ch angepeilte­n eineinhalb Jahren wurden 24 als Berater und Geschäftsf­ührer. Nächstes Jahr ist es ein Vierteljah­rhundert. Bei den Obermeiste­r-Neuwahlen 2019 soll Schluss sein. „Ich war immer mit Herzblut dabei“, sagt Wolfgang Reich. Die Leidenscha­ft für den besonderen Rohstoff und den echten Schein werden Reich und seine Frau auch danach pflegen.

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 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Kerzen sind seine Leidenscha­ft: Wolfgang Reich ist Geschäftsf­ührer und Berater der Bayerische­n Wachsziehe­r Innung, die ihren Sitz in Stadtberge­n hat.
Fotos: Marcus Merk Kerzen sind seine Leidenscha­ft: Wolfgang Reich ist Geschäftsf­ührer und Berater der Bayerische­n Wachsziehe­r Innung, die ihren Sitz in Stadtberge­n hat.
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