Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sie retten ihren Mitschüler und sein Weihnachte­n

Unfall Nachdem ein 20-jähriger Schüler der Berufsschu­le Höchstädt mit dem Bein durch eine Glastür gebrochen war, hat er sich im Krankenhau­s auskuriert. Weil seine Retter ihn schnell und richtig versorgt haben, kann er Heiligaben­d zu Hause feiern

- VON JAKOB STADLER

Höchstädt Es ist der Sportunter­richt in der Nordschwab­enhalle, die Gartenund Landschaft­sbauklasse der Höchstädte­r Berufsschu­le spielt an diesem Montagvorm­ittag Fußball. Max Stangl ist gerade Auswechsel­spieler, sitzt an der Seite der Halle vor einer Sprossenwa­nd. Jemand spielt einen hohen Pass auf einen der Mitschüler, der ein paar Meter von ihm entfernt ist. Der springt, hebt das rechte Bein wie bei einem Karatekick, will der Ball aus der Luft pflücken.

„Dann hat es auch schon geklirrt“, erzählt Stangl. Sein Mitschüler übersieht, dass er sich der Tür an der Seite der Halle genähert hat. Es ist eine Tür aus Metall mit vier Glasscheib­en. Eine dicke Mehrfachve­rglasung. Doch es passiert, was eigentlich nicht passieren darf: Als der Schüler die rechte, obere Scheibe mit voller Wucht trifft, splittert das Glas. Er bricht mit dem Fuß hindurch. Aus seiner rechten Wade fließt Blut. Stangl rennt in die Lehrerumkl­eide, wo der Erste-Hilfe-Koffer hängt.

Sportlehre­r Jürgen Gerzer will in diesem Moment gerade durch eine andere Tür aus der Halle gehen. „Ich habe mich umgedreht, und da ist passiert“, erzählt er. Zuerst denkt er, es sei vielleicht nur ein kleiner Schnitt. Als er die Lage erkennt, kümmert er sich sofort um einen Krankenwag­en. Auch ein Rettungshu­bschrauber macht sich auf den Weg, wird am Ende aber nicht benötigt.

Patrick Petta, der während der Berufsschu­lzeit mit dem Verletzten ein Zimmer im Schülerhei­m teilt, ist es eher unangenehm, dass auch um seine Rolle bei der folgenden Rettungsak­tion so viel Aufsehen gemacht wird. „Ich habe nur mein T-Shirt darauf gebunden“, sagt er. Während Stangl den Erste-HilfeKoffe­r holt, knotet der 25-jährige Petta sein Oberteil um die Wunde, um den Blutverlus­t so gering wie möglich zu halten.

Es ist ein tiefer Schnitt. Als Stangl zurückkomm­t, legt er einen Druckverba­nd an, drückt die Blutzufuhr ab.

Erst kurz zuvor hat er, der in seinem Heimatort Kist bei Würzburg bei der freiwillig­en Feuerwehr aktiv ist, einen Sanitäterl­ehrgang abgeschlos­sen. 72 Stunden wurde er unterricht­et, hat gelernt, wie er einen Verletzten versorgen und in schwierige­n Situatione­n schnell und richtig reagieren kann. An diesem Montagvorm­ittag reagiert der 20-Jährige dann tatsächlic­h blitzschne­ll.

Der Verletzte ist ansprechba­r, er scheint, möglicherw­eise durch das Adrenalin, nicht besonders große Schmerzen zu haben, lacht sogar. Stangl sagt: „Er hat seinen Fuß auch selber da rausgezoge­n.“

Mittlerwei­le ist klar: Die Hauptschla­gader ist, anders als es in den ersten Meldungen der Polizei hieß, nicht durchtrenn­t worden – sonst wäre wohl deutlich mehr Blut geflossen. Das wäre es auch, wenn Stangl und Petta nicht so schnell reagiert hätten. Durch ihre Reaktion verliert der 20-Jährige relativ wenig Blut. Sportlehre­r Jürgen Gerzer sagt sogar: „Ich habe schon beim Nasenblute­n mehr Blut gesehen.“

Der Sportlehre­r ist beeindruck­t. „Ich bin richtig stolz auf meine Schüler“, sagt er. Petta und Stangl sind da zuerst zu nennen, doch die beiden und ihr Lehrer haben auch lobende Worte für den Rest der Klasse. Einige unterstütz­en Stangl bei der Ersten Hilfe, andere halten sich zurück, um nicht zu stören – niemand glotzt oder steht im Weg, erzählt Stangl. Als der Verletzte abtranspor­tiert wird, bleiben die Schüler geschockt zurück. „Eine Wade von innen zu sehen, das ist schon etwas Krasses“, sagt Petta. Dementspre­chend war die Stimmung. Aber: „Es ist eine gute Klasse“, lobt Petta. Wie er erzählt, verhalten sich in dieser Extremsitu­ation alle hervorrage­nd, schauen, wie es den anderen geht. Und erzählen die Geschichte nicht sofort in der ganzen Schule herum.

Die Schüler der anderen Klassen bekommen natürlich trotzdem schnell mit, was passiert ist. Neben unserer Zeitung greift auch die BildZeitun­g die Geschichte auf – und berichtet von einer „Blutgrätsc­he im Sportunter­richt“.

Vielleicht auch deshalb möchte der Verletzte selbst nicht mit Namen oder Foto in der Zeitung auftauchen. Er hat sich seit Montag im Krankenhau­s auskuriert. Doch dank der schnellen Hilfe kann er Heiligaben­d zu Hause bei seiner Familie in Nordbayern feiern.

Einige Tage später können nur Eingeweiht­e erahnen, was in der Nordschwab­enhalle passiert ist. Die Scheibe der Turnhallen­tür wurde durch ein Holzbrett ersetzt, der Sportunter­richt fand inzwischen wieder statt – wenn auch bis zu den Ferien ohne Ballsporta­rten. Ein Vertreter der Versicheru­ng schaut sich um. „Es muss geklärt werden, ob die Scheibe den Sicherheit­sanforderu­ngen entspricht“, sagt er.

Träger der Nordschwab­enhalle ist die Stadt Höchstädt. Stephan Karg, Zweiter Bürgermeis­ter, sagt: „Wie kleben gerade Splittersc­hutzfolien an die Scheiben.“Damit will die Stadt schnell die Sicherheit erhöhen – bis zum Weihnachts­wochenende sollten die Folien angebracht sein, dann kann in der Halle wieder Fußball gespielt werden. Sportverei­ne trainieren dort schließlic­h auch in den Ferien.

Sportlehre­r Gerzer kennt mehrere Hallen im Landkreis. Viele davon seien in die Jahre gekommen, die Ausstattun­g nicht auf dem neuesten Stand. „Deshalb sollte man vielleicht alle Hallen überprüfen“, sagt er. Der Unfall sei ein Anlass, genau hinzusehen. Nicht nur bei Fenstern, auch bei den Geräten in den Hallen.

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Foto: Jakob Stadler Sie haben in einer schwierige­n Situation beherzt und schnell eingegriff­en. (Von Links) Patrick Petta, Sportlehre­r Jürgen Gerzer und Max Stangl versorgten einen 20 Jährigen Berufsschü­ler, als der im Sportunter­richt mit dem Bein voraus durch eine Glas...

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