Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Arm trotz Arbeit

Gesellscha­ft Den Menschen im Freistaat geht es so gut wie nie, sagt die Statistik. Doch manche bleiben auf der Strecke. So wie Sonja K. Sie ist alleinerzi­ehend, hat einen Minijob – und kämpft hartnäckig gegen die eigene Armut / Serie (1)

- VON SVEN KOUKAL

Den Menschen im Freistaat geht es so gut wie nie, sagt die Statistik. Doch manche bleiben auf der Strecke. So wie die alleinerzi­ehende Sonja K.

Landkreis Augsburg Wenn sich Sonja K.* abends auf die Couch setzt, dann werden ihre Augen feucht, manchmal kullern Tränen über ihre Wangen. Die 43-Jährige aus dem Landkreis hat ein Problem: Trotz Arbeit ist sie arm. Die wenigen Hundert Euro von ihrem Minijob reichen nicht für sie und ihre drei Kinder. Lange war sie in Vollzeit beschäftig­t. Dann kam die Trennung von ihrem langjährig­en Partner, sie wurde arbeitslos. Seit elf Jahren bezieht sie Hartz IV und kämpft dagegen an – bisher mit wenig Erfolg. „Der Druck kommt allein vom Geld“, sagt sie.

Das Beispiel von Sonja ist erschrecke­nd, weil wahr. Die alleinerzi­ehende Mutter steht stellvertr­etend für viele Geringverd­iener im Landkreis Augsburg. Die Scham, mit ihrem echten Namen in der Zeitung zu stehen, ist groß. Auch ihren genauen Wohnort will Sonja nicht preisgeben. Allein ist sie mit ihrem Schicksal nicht: Die Anzahl der Betroffene­n, die ausschließ­lich einen Minijob haben, in Teilzeit- oder Leiharbeit­sverhältni­ssen eingestell­t sind, wächst von Jahr zu Jahr. Allein im Landkreis Augsburg sind das derzeit 34000 Menschen – ein Rekordwert. Die Zahlen der Arbeitsage­ntur belegen, dass Armut oft das Schicksal derjenigen ist, die in prekären Verhältnis­sen arbeiten.

Michael Jäger, Bezirksche­f der Industrieg­ewerkschaf­t Bauen-AgrarUmwel­t, sagt: „Unbefriste­te Vollzeitjo­bs sind schon lange nicht mehr der Normalfall.“Wie Sonja ausschließ­lich geringfügi­g beschäftig­t sind im Landkreis Augsburg fast 13 000 Bürger. Je nach Familienst­and, Zahl der Kinder und sonstigen Einkünften erhalten die Betroffene­n ergänzende Leistungen durch das Jobcenter. Entscheide­nd sei die Anzahl der wöchentlic­hen Arbeitsstu­nden, erklärt die Agentur für Arbeit. Wie viel Geld die Betroffene­n durchschni­ttlich zur Verfügung haben, lasse sich aber pauschal nicht sagen.

Der Weg in die Armut hat bei vielen Betroffene­n mehrere, meist unterschie­dliche Auslöser. So auch bei Sonja. Mit 16 nimmt ihr Leben eine nicht eingeplant­e Wendung. Bis dahin wohnt sie in einem angespannt­en Verhältnis zu ihren Eltern zu Hause. Der Druck innerhalb der Familie wächst, sie zieht aus. Weil sie allergisch auf Haarfärbem­ittel reagiert, bricht sie ihre Ausbildung zur Friseurin ab. Das angesparte Geld wandert statt in den Führersche­in zum Vermieter ihrer neuen kleinen Ein-Zimmer-Wohnung. Trotzdem scheint ihre Welt danach in Ordnung zu sein. Sie kommt in einem Nähunterne­hmen in ihrer Nachbarsch­aft unter. Zehn Jahre arbeitet sie dort in Vollzeit. „Eine Ausbildung habe ich dafür nicht gebraucht. Hinterfrag­t habe ich nichts, denn das Geld hat dank Schichtarb­eit und Wochenende­insätzen gepasst“, sagt Sonja.

Sie bekommt drei Kinder, doch ihre Beziehung geht in die Brüche. Dann steht sie alleine da, denn weder ihre Eltern noch die Großeltern leben noch. Die Fehlstunde­n bei der Arbeit häufen sich, weil sie sich viel um die Kinder kümmert. Es folgt die Kündigung. Auf Dutzende Be- werbungen kommen ausschließ­lich Absagen. „Flexibel soll man sein, aber wie soll ich das hinbekomme­n – ohne Führersche­in, mit drei Kindern und einem Haushalt?“

Seitdem schlägt sie sich mit Hartz IV und Putzjobs durch. „Man hält sich irgendwie über Wasser. Aber die Belastung bleibt“, berichtet sie. Immer da sei der emotionale Druck. „Manchmal sehe ich mich von außen, als ob ich ein Roboter wäre. Ich weiß, ich muss funktionie­ren. Es muss weitergehe­n“, sagt sie mit leicht kratziger Stimme.

Rückhalt erhält sie, seitdem sie für wenige Stunden in der Woche bei der Kleiderkam­mer der Caritas arbeitet. „Ich verdiene etwas, und vor allem fühle ich mich aufgehoben, gebraucht und von meinen Kollegen verstanden und respektier­t“, sagt sie stolz. Trotz der Arbeit bleiben die Sorgen, besonders wenn es auf das Ende des Monats zugeht. „Ich drehe sprichwört­lich echt jeden Cent zweimal um.“Auf der Strecke bleiben ihre Wünsche. „Um die Anspannung mal fallen zu lassen, würde ich gerne ein paar Tage Urlaub machen, abschalten und meine Akkus wieder laden.“Wichtiger sei es jedoch, dass es ihren drei Kindern besser ergeht als ihr selbst. „Ich will jeweils ein Konto für sie aufmachen, etwas ansparen. Sie sollen mit 18 im Gegensatz zu mir den Führersche­in machen können“, sagt sie.

Für Walter Semsch, Geschäftsf­ührer der Caritas in Stadt und Landkreis Augsburg, ist der Lebensweg von Sonja ein ganz typischer. „Oft fängt es mit einer Trennung oder Kündigung an“, erklärt er. „Was dann oft scheitert, ist die Krisenbewä­ltigung. Unter Belastung werden dann Fehler gemacht und falsche Entscheidu­ngen getroffen.“Semsch vermutet zudem, dass sich Armut regelrecht vererbe. „Die Wahrschein­lichkeit, dass es Sonjas Kindern ebenfalls so ergeht, ist groß.“Hat sich die Armutsspir­ale einmal in Bewegung gesetzt, dreht sie sich immer schneller. Sich davon loszulösen sei sehr anstrengen­d, betont Semsch. Er rät, das Selbstbewu­sstsein der Betroffene­n zu stärken, die Eigenveran­twortung zu wecken. „Die Menschen müssen wissen, dass sie gebraucht werden“, sagt der Caritas-Chef. Daher habe er Sonja eingestell­t. „Sich helfen zu lassen und über den eigenen Schatten der Scham zu springen, ist das größte Hindernis – und den wichtigen Schritt hat Sonja rechtzeiti­g gemacht.“

*Name geändert

 ?? Symbolfoto: Anne Wall ?? Sonja K. hat drei Kinder, ist alleinerzi­ehend, hat einen Minijob. Das Geld ist knapp – für Spielsache­n oder ein paar Tage Urlaub zum Beispiel.
Symbolfoto: Anne Wall Sonja K. hat drei Kinder, ist alleinerzi­ehend, hat einen Minijob. Das Geld ist knapp – für Spielsache­n oder ein paar Tage Urlaub zum Beispiel.

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