Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die jungen Iraner lehnen sich auf

Hintergrun­d Sie rufen „Mullahs, schämt euch“, „Wir holen uns unser Land zurück“oder „Wir sind Arier, keine Araber“: Bei den größten Protesten seit Jahren starben bereits ein Dutzend Menschen. Wackelt das islamistis­che Ajatollah-Regime?

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Teheran In der Hauptstadt Teheran setzt die Polizei Tränengas und Wasserwerf­er gegen kleine Protestgru­ppen im Universitä­tsviertel ein. Allein in der westiranis­chen Stadt Tuyserkan starben sechs Menschen durch Schüsse. Bei den Protesten in der zentralira­nischen Stadt Nadschafab­ad ist nach Angaben des staatliche­n Fernsehens ein Polizist erschossen und drei weitere sind angeschoss­en und verletzt worden. Landesweit zählen die offizielle­n Staatsmedi­en seit dem Beginn der Proteste im Iran am Donnerstag mindestens 13 Tote. Doch noch immer tun sich Politiker und Medien schwer mit der Einordnung der Geschehnis­se: Geht es, wie anfangs behauptet, um Kritik an den hohen Preisen und der Wirtschaft­spolitik der Regierung von Präsident Hassan Ruhani? Oder soll man den Slogans der in sozialen Netzwerken verbreitet­en Videos glauben, die das gesamte islamische Establishm­ent des Landes kritisiere­n?

„Ich glaube beides“, sagt ein Politologe in Teheran, der wegen der heiklen Lage nicht beim Namen genannt werden wollte. Er teilt die Meinung von Vizepräsid­ent Ishagh Dschangiri. Der vermutete die Hardliner hinter den ersten Protesten in Maschad, Nordostira­n, um die Ruhani-Regierung zu schwächen. Der Vizepräsid­ent hatte aber auch gewarnt, dass diese Aktion schnell außer Kontrolle geraten könne. „Und genau das ist dann auch passiert“, sagt der Politologe.

Ruhani selbst zeigte sich offen für Kritik. Die Menschen hätten in einem freien Land das Recht auf Meinungsfr­eiheit. Aber was bei den Protesten kritisiert wurde, waren seiner Meinung nach nicht nur Wirtschaft­sprobleme. Die „Intranspar­enz“im Iran sei auch ein Thema gewesen. Was Ruhani als intranspar­ent bezeichnet, ist das politische System im Land. Er hat nicht die Macht, viele seiner Regierungs­programme umzusetzen, weil sie von anderen Gremien blockiert werden. Die wiederum werden von Hardlinern dominiert, die gegen Ruhanis Reformen sind.

„Mullahs, schämt euch, lasst unser Land in Ruhe“, „Wir holen uns unser Land zurück“, „Tod den Taliban“. Diese regimekrit­ischen Parolen bei den fast landesweit­en Protesten waren in der Tat nicht an Ru- hanis Wirtschaft­spolitik adressiert. Das bestätigt auch der einflussre­iche iranische Kleriker Ahmad Khatami. „Das hat nichts mehr mit Reformern und Nicht-Reformern im Land zu tun und zielt auf das gesamte islamische Establishm­ent“, sagt der Ajatollah.

Im Fokus der Proteste stand diesmal auch die iranische Nahostpoli­tik. Seit langem haben viele im Iran kein Verständni­s mehr für die dezidiert israelfein­dliche Politik des Landes. Genauso wenig für die Unterstütz­ung arabischer Staaten wie Palästina, Syrien, Libanon oder jetzt auch Jemen. „Wir sind Arier, keine Araber“, riefen Demonstran­ten immer wieder. Wieso sollen die Iraner die Hamas in Palästina, Präsident Baschar al-Assad in Syrien, die Hisbollah im Libanon und die HuthiMiliz­en im Jemen unterstütz­en, fragen die Kritiker. „Nicht Gaza, nicht Libanon, ich opfere mein Leben nur für den Iran“, ist eine der Protestpar­olen. Das Geld für diese arabischen Länder solle im Iran selbst investiert werden. Auch die Feindschaf­t zu den USA und Israel können viele nicht mehr nachvollzi­ehen.

Derzeit ist das einstige „Bruderland“Saudi-Arabien der eigentlich­e Erzfeind Teherans, der auch immer wieder Washington und Tel Aviv gegen den Iran anstiftet. In Teheran werden die Proteste routiniert als „Verschwöru­ng der Feinde“des Irans eingestuft. „Über die sozialen Netzwerke versuchen sie, die Gedanken unserer Jugendlich­en zu vergiften“, sagte Ajatollah Mowahedi Kermani beim Freitagsge­bet in Teheran. Der Kleriker forderte: alles Regimekrit­ische im Internet blockieren. Es gibt aber auch Politiker im Land, die die Proteste pragmatisc­her einordnen.

Der Abgeordnet­e Gholam-Ali Dschafarsa­deh sieht hinter den Protesten eine Botschaft, die die Regierung nicht ignorieren sollte. Nicht alles werde vom Ausland gesteuert. Sein Kollege Mahmud Sadeghi teilt diesen Standpunkt. „Wir müssen auf die Forderunge­n der Menschen eingehen und uns nicht hinter Verschwöru­ngstheorie­n verstecken“, twitterte der reformorie­ntierte Abgeordnet­e. Anders als bei den Protesten nach der angeblich manipulier­ten Präsidente­nwahl 2009 wirken die regimekrit­ischen Proteste diesmal nicht programmie­rt.

Laut Augenzeuge­n finden sie spontan und meist nur mit einer kleineren Anzahl Demonstran­ten statt. Das breite Publikum erreichen die Demonstran­ten dann mit Handyvideo­s, die über die sozialen Netzwerke verbreitet werden. Die iranische Regierung sperrte den Messengerd­ienst Telegram und das soziale Netzwerk Instagram und verlangsam­te das Internet.

Farshid Motahari, dpa, afp

Viele Reformpoli­tiker äußern Verständni­s für die Proteste

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Foto: dpa Bilder wie dieses werden im Iran massenhaft über die sozialen Netzwerke verbreitet: Studenten der Teheraner Universitä­t trotzen einem Tränengas Angriff. Die Proteste richten sich auch gegen die feindselig­e Außenpolit­ik der Regierung.

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