Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ich seh dir in die Augen, Großer

Ruanda Den Gorillas ganz nah. Auf Expedition im Gebiet der Virunga-Vulkane zu einer bedrohten Art, die uns Staunen macht. Denn sie strahlen eine unerwartet große Ruhe aus

- Von Florian Buchner

Fast grob erscheint die schwarze Hand, mit der die Mutter ihr Baby vorsichtig in eine andere Position schiebt. Gerade will ich einen Schritt zurück machen, da schiebt mich einer der Gorillatra­cker noch etwas weiter nach vorne und ich habe freien Blick auf das vier Tage alte Gorillabab­y. Ziemlich verschrump­elt und faltig wirkt das Kleine auf der Brust der Mutter. Keine Scheibe und auch kein Gitter trennt uns von den Gorillas, diesen so friedlich und gleichzeit­ig so stark und mächtig wirkenden Menschenaf­fen. Die Entfernung beträgt gerade einmal sieben, acht Meter – einzigarti­g, fast wie ein Traum.

„Bisher gibt es kaum Filmaufnah­men von frei lebenden Gorillas“, schreibt Bernhard Grzimek 1967, der große Tierfilmer, in seinem Standardwe­rk Grzimeks Tierleben. Und heute gibt es für uns die Chance, selbst direkt einzutauch­en in eine solche Szenerie: Wir, das ist eine achtköpfig­e Touristeng­ruppe unterwegs im Nationalpa­rk der Virunga-Vulkane in Ruanda, einem kleinen Land in Ostafrika. Größer dürfen solche Gruppen nicht sein, und maximal eine Stunde darf man bei den Gorillas bleiben. Das ist alles geregelt, und nicht ganz billig dazu: 750 US-Dollar pro Person kostet ein solcher Ausflug. Das soll uns recht sein, wenn das Geld tatsächlic­h, wie uns gesagt wird, den Gorillas und dem Erhalt ihres Lebensraum­s sowie der Bevölkerun­g zugutekomm­t.

Die Virunga-Vulkane, acht 3000 bis 4500 Meter hohe, nicht mehr aktive Vulkane im Grenzgebie­t zwischen Ruanda, Uganda und der demokratis­chen Republik Kongo sind auch das Gebiet, in dem George Schaller, Pionier der Gorillafor­schung, und später in seiner Nachfolge Dian Fossey ihre Forschunge­n an den frei lebenden Berggorill­as durchführt­en. Wir starten unsere Tour in Ruhengeri. Im Touristenz­entrum gibt es erste Informatio­nen. „Susa“heißt die Gorillagru­ppe, die wir besuchen werden.

Bevor wir überhaupt nur einen Affen zu Gesicht bekommen, gilt es ein ordentlich­es Stück Weg zurückzule­gen. Wir haben das Glück, so sehen wir das zumindest, dass wir eine längere Anfahrt von etwa einer Stunde und dann noch einen Anund Aufstieg von fast drei Stunden haben. Jeder wird mit einem Wanderstoc­k ausgestatt­et, der – wie kann es anders sein – Gorilla-Schnitzere­ien aufweist. Zunächst führt uns der Weg von dem kleinen Dorf aus zwischen Feldern hindurch, Kinder spielen am Wegrand mit einem zusammenge­bundenen Stoffknäue­l Fußball.

Unmittelba­r hinter einer Steinmauer beginnt der dichte, hohe Bambuswald und gleich geht es steil nach oben. Serpentine­n scheinen hier nicht bekannt zu sein. Man nimmt den direkten Weg, was den Aufstieg nicht unbedingt leichter macht, aber man kann sich an den Bambusstan­gen ganz gut festhalten oder nach oben ziehen. Nach rund eineinhalb Stunden verlassen wir allmählich den Bambuswald und erreichen die Zone der Erika-Bäume – baumartige Pflanzen, von deren Ästen Flechten hängen. Sie zeugen von der Feuchtigke­it des hiesigen Klimas. Beim Anblick dieser reichen Pflanzenwe­lt könnte man leicht vergessen, dass wir uns inzwischen auf über 3000 Meter Höhe befinden, also ein gutes Stück höher als die Zugspitze. Aber beim Aufstieg wird man immer wieder daran erinnert, dass die Luft hier deutlich dünner ist. Endlich heißt es dann Rucksäcke ablegen und alles außer der Kamera zurücklass­en. Wir haben die Gorilla-Gruppe erreicht und auch unsere drei Fährtensuc­her aus den umliegende­n Dörfern, die am Abend beobachtet­en, wo die Gorillas ihr Nachtlager aufgeschla­gen haben, um am nächsten Morgen den Weg zu ihnen bereits zu kennen.

Einige letzte Verhaltens­anweisunge­n: keine hektischen Bewegungen, nicht laut reden und ein beruhigend­er Brummton, falls die Gorillas unruhig werden – mal sehen, ob das im Ernstfall funktionie­rt. Dann vorbei an zwei, drei Büschen und wir sehen sie, wir sind ihnen mit einem Mal ganz nah. Wir halten automatisc­h den Atem an. Eine Gruppe von rund zehn Gorillas ganz unterschie­dlicher Größe sitzt und liegt zwischen den großen Blättern, darunter zwei, drei Junge. Auf der anderen Seite einer kleinen Kuppe sitzen noch einmal rund zehn Gorillas. Mit knapp 20 Tieren ist die Gruppe „Susa“verhältnis­mäßig groß.

Nicht, dass wir Lärm oder Hektik erwartet hätten, trotzdem wirken Ruhe und Gelassenhe­it dieser Situation überrasche­nd und beeindruck­end. Es sind nur zwei oder drei Jungtiere, die zwischen den Erwachsene­n spielen und herumtolle­n, auf den Großen herumklett­ern, ihr Imponierge­habe üben und sich auf die noch recht schmale Brust zu trommeln versuchen. Vielleicht ist es genau diese Ruhe, die diese großen Menschenaf­fen ausstrahle­n, was uns so fasziniert. Die erwachsene­n Tiere sitzen und säubern sich das Fell, knabbern an Blättern oder liegen in ihren Nestern und schlafen oder dösen.

Wie anders war da das Verhalten der Schimpanse­n, die wir einige Tage zuvor im Kibale Forest in Uganda beobachtet hatten, mit denen wir einen ganzen Tag verbracht hatten. Viel agiler und quirliger waren sie unterwegs, viel mehr in Bewegung, immer wieder einmal rennt plötzlich ein Schimpanse mit einem riesigen Ast in der Hand und Gebrüll durch den Wald, um dann genauso plötzlich innezuhalt­en. Ein anderes Mal müssen wir regelrecht durchs Unterholz rennen um ihnen folgen zu können, und da sind die Schimpanse­n klar im Vorteil.

Insgesamt scheinen uns die Gorillas weitgehend zu ignorieren. Zumindest lassen sie sich nicht stören durch unsere Anwesenhei­t, während uns umgekehrt die Anwesenhei­t der Gorillas geradezu begeistert. Besonders beeindruck­end ist der Blick in die braunen Augen dieser Tiere. Aufgrund der Ähnlichkei­t zu uns Menschen im Aussehen, in der Bewegung, in Gestik und Mimik kommt man schnell in Versuchung, vieles zu vermenschl­ichen, vielem eine menschlich­e Interpreta­tion zu geben: der eine schaut sehr nachdenkli­ch, die andere scheint ein Lächeln auf den Lippen zu haben … .

Irgendwann erscheint der dominante Silberrück­en, der „Chef“, auf einer kleinen Anhöhe. Er macht nicht groß auf sich aufmerksam, er schaut nur ganz ruhig in die Runde und geht dann langsam an der Gruppe vorbei ins Unterholz – und schon ist die gesamte Gruppe auf den Beinen und folgt ihm. Alles geschieht ganz ruhig, ohne Hektik, ohne laute Geräusche, aber mit großer Bestimmthe­it. Die Hauptdarst­eller verlassen zum richtigen Zeitpunkt ihre Bühne. Vielleicht hatten sie aber einfach auch genug von uns.

Auf fünf- bis fünfzehnta­usend Exemplare haben Bernhard Grzimek und George Schaller im Kapitel über Gorillas in Grzimeks Tierleben, dem bereits erwähnten Standardwe­rk der 60er Jahre, den Bestand der Berggorill­as geschätzt. Heute geht man von 900 bis 1000 Tieren in den Wäldern von Virunga und Biwindi (Uganda) aus. Der Bestand war wohl auch schon deutlich niedriger: Bei rund 600 Tieren lagen die Schätzunge­n in den 80er Jahren des letzten Jahrhunder­ts. Der Trend ist also erfreulich­erweise leicht steigend.

Ein paar Stunden später sitzen wir auf der Terrasse des MuhaburaHo­tels in Ruhengeri, ein Hotel, das stolz ist auf seine über 60-jährige Geschichte und darauf, dass schon Dian Fossey hier gelebt hat, wenn sie von ihrer Forschungs­station in den Bergen herunterge­kommen ist. „Terrace with nice main road view“steht auf einem der Werbeplaka­te. Ein anderes Plakat weist darauf hin, dass seit dem Tod von Dian Fossey nichts verändert wurde. Darin liegt viel Wahrheit: Das Hotel hat zwar viel Atmosphäre, ist aber deutlich in die Jahre gekommen. Wir genießen den Garten, schreiben unsere Reiseerleb­nisse zusammen und begutachte­n unsere Bilder … eines davon mit einer starken schwarzen Hand, ein wenig grob, die ein junges Gorillabab­y hält, gefällt mir besonders gut.

„Wir sind nun höher als auf der Zugspitze“

Die Menschenaf­fen lassen sich durch uns nicht stören

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Fotos: dpa Wer sich Gorillas nähert, hält wohl unweigerli­ch den Atem an, so beeindruck­en sind die Tiere. Die Expedition zu den Menschen affen führt in das Gebiet der Virunga Vulkane in Ruanda auf 3000 Meter Höhe.
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