Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Lehrer leiden besonders oft an Burnout
Schule Viele Pädagogen haben mit psychischen Problemen zu kämpfen. Aber woran liegt das?
Celle Pädagogen leiden besonders oft an Burnout-Syndromen und ähnlichen mentalen Problemen. So sind etwa psychosomatische Erkrankungen der Hauptgrund, wenn Lehrer länger als sechs Wochen in der Schule ausfallen. Nach aktuellen Zahlen der Landesschulbehörde Niedersachsen beispielsweise hat jeder dritte der rund 4600 langzeiterkrankten Lehrer psychische Beschwerden. Besonders betroffen sind Grundschullehrer ab 50 Jahren aufwärts, die vor allem an depressiven Episoden, Angststörungen oder Erschöpfung leiden.
Dirk Lehr, Professor für Gesundheitspsychologie an der Uni Lüneburg, hat zu diesem Thema geforscht. Nach einer repräsentativen Erhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin unter mehr als 20000 Erwerbstätigen sind Lehrer deutlich häufiger als andere Berufsgruppen von Erschöpfung (mehr als jeder Zweite), Kopfschmerzen (über 40 Prozent), Nervosität und Reizbarkeit (knapp 40 Prozent) sowie von Schlafstörungen (35 Prozent) betroffen.
Nach der Potsdamer Lehrerstudie, für die 16000 Lehrkräfte befragt wurden, liegt die Burnout-Rate bei 29 Prozent – zusammen mit Erziehern die höchste Rate aller Berufe. Laut Lehr legen einige Studien den Schluss nahe, dass das Risiko für spätere psychische Erkrankungen erhöht ist, wenn Berufsanfänger unrealistische Erwartungen an ihren Einfluss auf Schüler und überhöhte Leistungsansprüche an sich selbst haben. Wichtig sei Erholung – negative Gedanken verhinderten dagegen einen erholsamen Schlaf, was das Risiko von Depressionen und Herzerkrankungen erhöhe.
Professor Lutz Schumacher von der Alice-Salomon-Hochschule Berlin leitete ein Projekt, in dem an 30 Schulen in Deutschland rund 1000 Lehrkräfte befragt wurden. Schumacher hat dabei drei etwa gleich große Gruppen von Pädagogen ausgemacht: Die gesunden und zufriedenen Progressiven, die für Veränderungen offen sind. Die gesunden und zufriedenen Desinteressierten, die alles beim Alten lassen wollen. Die belasteten und unzufriedenen Resignierten, deren psychische Gesundheit angegriffen ist und die Veränderungen als dringend nötig bezeichnen – an deren Realisierung sie allerdings nicht glauben.
„Wir haben keine Vorgaben gemacht, die Lehrer konnten sagen, was verändert werden soll. Dabei fiel auf, dass Probleme mit der Schulleitung am seltensten Thema war, aus Angst vor Konflikten“, sagt Schumacher. Aus seiner Sicht haben Schulleiter eine Schlüsselrolle – von ihnen hänge ab, ob Lehrer sich unterstützt fühlen und eine Reaktion auf ihre Tätigkeit bekommen, ob sie an Entscheidungen beteiligt werden und ob ein Gruppengefühl an der Schule entsteht, an der man gemeinsame Werte teilt. Die Schulleitung spielt zudem eine entscheidende Rolle bei der Schulorganisation.
Dazu gehört auch die Gestaltung des Lehrerzimmers, die das Wohlbefinden verbessern kann. Davon ist Sebastian Ginser überzeugt, Fremdsprachenlehrer am Gymnasium Burgdorf bei Hannover. An der 860 Schüler und 80 Lehrer zählenden Schule wurde in den letzten großen Ferien das 50 Jahre alte Lehrerzimmer umgebaut und neues Mobiliar angeschafft. Neue Teppiche und abgehängte Decken sorgen für weniger Lärm, der Einbau von Nischen bringt mehr Raum für kleine Gruppen, ein neuer Ruheraum kann für das Nickerchen zwischendurch an der Ganztagsschule genutzt werden. „Früher sind viele Kollegen sofort nach ihrem Unterricht abgehauen, weil es hier laut und nicht schön war. Jetzt bleiben viele länger zu kollegialem Austausch.“
Karl Gebauer, langjähriger Leiter einer Göttinger Grundschule und heute im Ruhestand, schildert ein Gespräch, das er vor kurzem mit einer Bekannten führte, die ihm von ihrer Schlaflosigkeit und dem innerlichen Rückzug aus dem Beruf berichtete. „Unsere Schulleiterin trägt in der Konferenz nur neue Gesetzestexte vor und nimmt uns Lehrer gar nicht wahr. Keiner hat den Mut, Probleme anzusprechen, ich auch nicht. Ich bekomme manchmal von Eltern und Schülern positive Rückmeldungen, mache eine Therapie und treibe Sport, das hält mich über Wasser.“Zu den Belastungsfaktoren im Lehrerberuf gehören laut Gebauer neben Konflikten mit Kollegen oder der Schulleitung unter anderem große Klassen, ungeeignete Räume, schwierige Schüler sowie Neuerungen im Schulsystem. „Der Stress wächst seit der Diskussion um das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler beim Pisa-Test im Jahr 2000. Seitdem ist alles auf Effizienz ausgerichtet. Der Druck von Ministerien und Eltern nimmt zu. Der Schulleiter hat heute mehr Macht und sagt, wo es langgeht und viele Lehrer ziehen sich zurück. Nicht Menschen, sondern Ziele stehen im Vordergrund und die nötige Empathie wird zurückgedrängt“, kritisiert Gebauer.
Nach seiner Überzeugung ist das Einfühlungsvermögen in andere Personen eine Quelle für einen besseren Umgang mit Stress. Gebauer rät, mit vertrauten Kollegen über Gefühle und Belastungen zu sprechen und gemeinsam nach Veränderungsmöglichkeiten zu suchen. Zudem seien Fehlschläge und Misserfolge Teil der Arbeit.