Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hungern für ein langes Leben

Ernährung In einer Gesellscha­ft voller Überfluss liegt der Verzicht im Trend. Was Entgiften bringen kann

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Bad Pyrmont/Berlin Gleich zu Anfang eine schlechte Nachricht: Schlacken gibt es nicht. Zwischen Mittag- und Abendessen ein bisschen Detoxen – ein neues Wort für Entgiften – mit geschredde­rtem Obst und Gemüse? Unmöglich. Nach aktuellen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen sind Giftstoffe und schädliche Ablagerung­en, die sich im Körper ansammeln und die man dann mit irgendwie entgiftend­en Stoffen ausschwemm­en müsste, ein Mythos. Vielmehr erledigt der Körper solche Arbeiten selbst. Das betonen Ernährungs­wissenscha­ftler.

Verena Buchinger, die seit 2017 die Fastenklin­ik ihrer Familie in Bad Pyrmont als Chefärztin leitet, spricht von der sogenannte­n Autophagie, einer Art „innerem Arzt“. Und das geht so: Die Zelle entledigt sich schädliche­r Stoffe und schleust sie aus. Das Prinzip wird allerdings vom Insulin gehemmt. Das eigentlich immer ausgeschüt­tet wird, wenn wir essen. Was also durchaus helfen kann: eine Weile nichts essen. Buchingers Urgroßvate­r, ein Marinearzt, hat nämlich die BuchingerF­astenmetho­de vor mehr als 100 Jahren in Eigenregie erfunden.

Erlaubt sind dabei täglich zwei flüssige Kalorienqu­ellen: mittags eine Gemüsebrüh­e und abends ein Saft. Und das möglichst 18 Tage lang, mindestens aber eine Woche. „Wir schicken die Organe in den Urlaub“, sagt Buchinger.

Wer glaubt, dass die Menschen nur zum Abnehmen oder Gift loswerden in Kurklinike­n kommen, irrt natürlich. Da gibt es Patienten mit Rheuma, mit Diabetes, Bluthochdr­uck, aber auch Schmerzpat­ienten oder welche mit psychische­n Leiden.

Die Buchinger-Klinik hat – so wie viele ähnliche Häuser auch – Verträge mit allen gesetzlich­en Krankenkas­sen. Fasten setzt auf mehreren Ebenen an. Im Tiermodell hat sich in Studien eine erhöhte kognitive Leistungsf­ähigkeit gezeigt. Bei einer Gruppe von depressive­n Männern stieg über drei Monate die Stimmung, wenn man ihnen nur eine gewisse Menge von Essen erlaubte. Auch das Risiko für Parkinson und Alzheimer soll sinken, Entzündung­sprozesse reduziert werden.

Und dann ist da noch die Sache mit der Lebenserwa­rtung. Fastende Mäuse lebten im Versuch bis zu 30 Prozent länger, bei Würmern waren die Ergebnisse sogar noch eindrucksv­oller. Aber: Viele Effekte lassen sich bisher nur bei Mäusen und Ratten nachweisen. Einfach so auf den Menschen übertragen kann man die Ergebnisse nicht.

Professor Andreas Pfeiffer, Ernährungs­mediziner und Diabetolog­e an der Berliner Charité, hält von den angepriese­nen Entschlack­ungsEffekt­en nichts: „Dass man mit dem Fasten Gefäße sauber kriegt oder den Darm reinigen kann, ist Quatsch.“Trotzdem hält er Fasten durchaus für sinnvoll. „Das Fett in den Organen ist durch Hungern schnell zu reduzieren, da zählt jedes Kilo.“

Die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) steht dem Fasten hingegen ambivalent gegenüber. Schlacken gibt es nicht, heißt es auch von dort. Die DGE lobt dafür die psychologi­schen Effekte: Menschen, die fasten, setzen sich mit ihrem Körper, ihrer Gesundheit und ihrer Ernährung auseinande­r – das sei gut. „Solange es sich dabei nicht um Senioren, Schwangere, Stillende oder Kinder handelt, haben wir nichts dagegen“, fasst Antje Gahl von der DGE zusammen. Vor allem empfiehlt die DGE, bevor man sich über wie auch immer geartetes Fasten Gedanken macht, erst mal auf zwei Dinge zu verzichten: Alkohol und Nikotin. Für die meisten ist das schon Detox genug. Obst- oder Gemüsesaft zwischendu­rch kann auch nicht schaden. Zu viel aber doch: Zumindest in Obst lauert auch viel Zucker. Marie von der Tann, dpa

 ?? Foto: Christin Klose, dpa ?? Ein Tässchen Gemüsesaft – und schon fließen die Giftstoffe aus dem Körper? Ganz so einfach ist es nicht.
Foto: Christin Klose, dpa Ein Tässchen Gemüsesaft – und schon fließen die Giftstoffe aus dem Körper? Ganz so einfach ist es nicht.

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