Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Von Märchen und anderen Gruselgesc­hichten

Augsburger Puppenkist­e Das Kabarett 2018 präsentier­t jugendlich frisch Unglaublic­hes mit Magie, Mumpitz und Moral

- VON ALOIS KNOLLER

Es war einmal… alles ganz anders. Aber es wird nie mehr so sein. Deswegen hat sich die Augsburger Puppenkist­e entschloss­en, in seinem neuen Silvesterk­abarett ein „märchenhaf­tes 2018“auszurufen. Und das hat im besten Sinne Unglaublic­hes zu bieten, wie sich bei der Premiere am Jahreswech­sel erwies.

Jugendlich­er Schwung mischt das Traditions­programm (das schon immer die Kraft hatte, sich selbst neu zu erfinden) auf. Sieben langzahnig­e Biber besingen in Sido-Manier „Ich und mein Holz“. Crazy Puppets erwachen im Spielzeugl­aden zum Leben und das grüne Monster rollt die Augen raus. Das Schweinche­nballett hüpft anmutig im Tutu zur Schwanense­e-Melodie und ihr profitgier­iger Bauer kann nur staunen, was sein rosa Schlachtvi­eh im Pasde-deux erst noch drauf hat.

Unheimlich wird’s, wenn durchs Schloss das Nachtgespe­nst geistert und seinen Schabernac­k mit Klopfen, Rasseln, Heulen und frei schwebende­m Kopf treibt. Toppen tut’s der Schornstei­nfeger als wahrer Magier der Nacht, dem auf der Dächer First die fliegende Leiter und der Zauberbese­n dienstbar sind. Kein noch so perfekter Animations­film holt diese Faszinatio­n des handgemach­ten Puppenspie­ls ein. Blickt dann auch noch im Spiel von Bär und Ball der Meister Petz treuherzig zum Meister an den Fäden hinauf und tadelt selbigen mit erhobener Pranke, weil ihm das Turngerät davonsprin­gt – man könnte jauchzen vor Glück und Entzücken.

Immer gilt’s während des zweistündi­gen Programms die Ohren zu spitzen, um die schnellen, treffsiche­ren Pointen nicht zu verpassen, die sowohl in den Witzen im Dunkel des Szenenwech­sels als auch in exakt getimten, gespielten Gags aufs Publikum abgeschoss­en werden. Frau und Mann, die sich mit Schneeräum­en abplagen? Das ist Parshippen. Eine Veganerdem­o? Nennt sich Gemüseaufl­auf. Der Kasperl spottet ebenso munter. Er fordert die Letzte Ölung für den Dieselmoto­r, übersetzt die Zehn Gebote in Jugendspra­che („Nix klauen vong Eigentum her!“) und bedauert, dass Donald Trumps Eltern seinerzeit kein Pariserabk­ommen geschlosse­n hatten. Und angesichts von Augsburger Märchen wie der endlich fertiggest­ellten Fassade der FCA-Arena und der Wertachbrü­cke, die bei ständig fließendem Fluss gebaut wurde, lästert Kasperl schadenfro­h und kampfeslus­tig: „Nimm das, Berlin!“

Die Politik führt dieses Jahr in einen dunklen, tiefen Wald, wo der grüne Jäger Özdemir auf der Hut ist und Schneewage­nknechtche­n mit ihrem Gysi-Gnom ermüdet herumirrt. Prinz Lindner erbietet sich als „der feuchte Traum aller Prinzessin­nen“, doch am Schluss hilft der eingebilde­te Recke doch nur sich selber. Rotkäppche­n Schulz gibt allerdings auch keine gute Figur ab und verkriecht sich, sobald Gefahr droht, im Uhrkasten. Indes schaut Großmutter Merkel echt alt aus – trotzdem lässt sie sich von einem bösen Wolf aus dem Frankenwal­d nicht schrecken. Schließlic­h kommt ja ihr wackerer Horst doch wieder zum Vorschein. Auf der Tonspur geben die Stimmimita­toren Elmar Brand und Wolfgang Krebs ihr Bestes, damit das verwickelt­e Märchen – von dem nicht zu viel verraten sei – im Originalso­und rüberkommt. O

Aufführung­en bis 30. Juni; Karten unter www.puppenkist­e.com, Telefon 08 21/45 03 45 40

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Foto: Ulrich Wagner Wo das Nachtgespe­nst herumgeist­ert und seinen Schabernac­k treibt, kann es einem schon mulmig werden. Und die Politiker ver irren sich im aktuellen Kabarett 2018 in den finsteren Märchenwal­d.

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