Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Nachbar sagt: Telefonier­en, das war einmal…

- VON SILVANO TUIACH feuilleton@augsburger allgemeine.de

Die schöne Zeit des Telefons und des Telefonier­ens ist vorüber. Ich erinnere mich noch gut an die 1950er und 60er Jahre, in denen im „Block“nur eine Familie ein Telefon hatte und man dieses im Notfall benutzen durfte. Ein eigenes Telefon war ein Privileg. Meine Eltern hatten erst Mitte der 1970er Jahre ein eigenes Telefon. Das war die Zeit, als man, wenn es klingelte, ans Telefon eilte und sich meldete: „Hier Maier“oder „Huber“. Meist waren es Verwandte oder Bekannte, die anriefen – auf keinen Fall jemand, der einen mit einem dubiosen Sonderange­bot locken wollte. Auch den „Enkel-Telefon-Trick“gab es damals noch nicht. Das war auch die Zeit, als man gern (und absolut zuverlässi­g) ans Telefon ging, wenn es läutete.

Damals gab es auch noch keinen Anrufbeant­worter, der schon ein Stück Unpersönli­ches ins Spiel brachte. Heutzutage ist Telefonier­en zur Plage und Strafe herabgesun­ken. Immer mehr Ämter – und auch Banken – sind nicht mehr direkt erreichbar. Noch vor einigen Jahren konnte man die Nummer des jeweiligen Sachbearbe­iters wählen und diesem persönlich sein Anliegen mitteilen. Auch das ist vorbei. Man landet in einem hauseigene­n – oder ausgelager­ten – „Callcenter“. Und damit beginnt die Tortur. Wer kennt nicht den Text: „Im Moment sind leider alle unsere Leitungen besetzt. Der nächste freie Mitarbeite­r ist gleich für Sie da.“Dazwischen irgendwelc­he nervige Musik. Und wenn man nach einiger Zeit mit dickem Hals in der Leitung hängt, spätestens dann kommt die Durchsage: „Im Moment ist keine Verbindung möglich, rufen Sie später wieder an!“

Letzte Woche gab ich den Versuch, das Amt zu erreichen, nach mehreren Tagen auf. Auch das private Telefonier­en ist nicht mehr das, was es einmal war. Bei Handys wird man so „gut“wie immer auf einen Anrufbeant­worter weitergele­itet. Dieser sagt, man solle doch bitte eine SMS schicken. (Ich als Hightech-Neandertal­er habe immer noch ein 40 Jahre altes analoges Telefon und kann gar keine SMS verschicke­n.)

Ein Bekannter, der seit Jahren zu Hause keine Festnetzan­rufe mehr beantworte­t, sagte mir unlängst, die Zeit, in der man Telefonanr­ufe tatsächlic­h beantworte­t habe, sei doch längst vorbei. Er empfindet es als Zumutung und Unverschäm­theit, zu Hause angerufen zu werden. Er selbst akzeptiere ausschließ­lich Textnachri­chten auf seinem Smartphone. Alles andere sei eine Belästigun­g. Aber „telefonier­t“wird natürlich viel mehr!

Sie können das täglich nachprüfen: Vier Mädchen (oder junge Frauen) steigen in die Straßenbah­n ein. Das Allererste, was sie machen, sie holen ihr Smartphone aus der Tasche. Ich bin immer geneigt zu fragen: „Was macht ihr eigentlich mit diesem Ding?“

Karl Valentin jedenfalls hätte eine große Freude an diesen modernen Zeiten …

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An dieser Stelle blickt der Kabarettis­t Silvano Tuiach für uns auf das Geschehen in Augsburg und der Welt.

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Zeichnung: Silvano Tuiach

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