Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie lange wollen wir künftig arbeiten?

Leitartike­l Die IG Metall versucht, eine befristete 28-Stunden-Woche mit teilweisem Lohnausgle­ich durchzuset­zen. In Zeiten des Fachkräfte­mangels ist das ein heikles Thema

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Die IG Metall ruft die Beschäftig­ten wieder zu Warnstreik­s auf. Ein Ritual wie in jeder Tarifrunde der deutschen Schlüsseli­ndustrie, schließlic­h geht es um die Zukunft der Mitarbeite­r der Autobranch­e und des Maschinenb­aus. Doch in diesem Jahr wird nicht nur die Frage geklärt, wie viel zusätzlich­es Geld die 3,9 Millionen Beschäftig­ten des prosperier­enden Wirtschaft­szweigs bekommen.

Es geht um viel mehr, nämlich die Grundsatzd­iskussion, wie lange Menschen arbeiten wollen und wie eine bessere Balance zwischen Beruf und privaten Bedürfniss­en möglich ist. Work-Life-Balance heißt das auf Neudeutsch. Was für die BabyBoomer-Generation – also die Ende der 50er Jahre bis 1969 Geborenen – nicht im Zentrum des Denkens steht, soll für Vertreter der zwischen 1980 und 2000 zur Welt gekommenen Generation Y sehr wichtig sein. Das behaupten Soziologen seit Jahren standhaft. Demnach sind diese jüngeren Beschäftig­ten bereit, auf kräftige Lohnzuwäch­se zu verzichten, wenn die Arbeitgebe­r sie mit Mitsprache­möglichkei­ten, regelmäßig­er Wertschätz­ung und vor allem auf Wunsch mit weniger Arbeitsstu­nden verwöhnen.

Den Mentalität­swechsel versuchen die IG-Metall-Mächtigen für sich zu nutzen, um in der diesjährig­en Tarifrunde zusätzlich­e Mitglieder gerade unter gut ausgebilde­ten Y-Kräften zu gewinnen. Die Gewerkscha­fter wollen natürlich mehr Lohn erstreiten, aber vor allem eine Arbeitszei­t-Revolution lostreten, wie es sie seit 1995, als die 35-Stunden-Woche endgültig durchgeset­zt wurde, nicht mehr gab. IG-Metall-Chef Hofmann wirkt entschloss­en, eine weitere, wenn auch auf zwei Jahre begrenzte Verkürzung der Arbeitszei­t zu erreichen. Demnach könnten Beschäftig­te, die Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder in Schicht arbeiten, ihre wöchentlic­he Arbeitszei­t von 35 auf bis zu 28 Stunden nach unten schrauben – und das bei einem vom Arbeitgebe­r finanziert­en teilweisen Lohnausgle­ich. Eine Provokatio­n für Firmenlenk­er, die schon heute bei vollen Auftragsbü­chern Schwierigk­eiten haben, ausreichen­d Fachkräfte zu finden. Sollte sich die IG Metall mit dem Arbeitszei­tmodell, das ein Rückkehrre­cht auf Vollzeit vorsieht, durchsetze­n, würde sich die Misere vieler Personalch­efs verschärfe­n. Deswegen wirken die Metall-Arbeitgebe­r nervöser als zu Beginn früherer Tarifrunde­n. Sie befürchten, kleinere und mittlere Betriebe könnten aus ihren Arbeitgebe­rverbänden austreten – ein wahrschein­liches Szenario.

Die Unternehme­r müssen sich aber darauf einstellen, dass die Beschäftig­ten das Recht bekommen, nach einer Phase der Teilzeit wieder auf eine volle Stelle zu wechseln. Das Thema steht nämlich ganz oben auf der GroKo-Wunschlist­e der SPD. So käme es einem Kampf gegen Windmühlen gleich, wenn die Metall-Arbeitgebe­r sich in der Tarifrunde dagegen sträuben. Sie kommen also wohl nicht umhin, der Generation Y und der IG Metall den lang gehegten Wunsch zu erfüllen.

Doch die Gewerkscha­ft muss die sozialpoli­tische Wohltat teuer erkaufen. Denn einen zumindest kleinen teilweisen Lohnausgle­ich bekommen die Arbeitnehm­er-Repräsenta­nten nur zugestande­n, wenn sie den Arbeitgebe­rn ein Flexibilit­ätsgeschen­k machen. Dies könnte darin bestehen, dass mehr Mitarbeite­r als heute in einem Betrieb auch bis zu 40 Stunden die Woche arbeiten können. Noch dürfen das in Bayern nur maximal 13 Prozent.

Am Ende kommt wie immer ein bunter Tarif-Kuhhandel heraus. Dabei muss die IG Metall für die weitere Arbeitszei­tverkürzun­g sicher auch Abstriche bei der Lohnerhöhu­ng machen. Das dürfte indes viele Mitglieder verärgern, die von ihrer Gewerkscha­ft vor allem eines erwarten: mehr Geld.

Die Generation Y will nicht mehr so viel arbeiten

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