Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Es gibt sie noch: arbeitslose Fachkräfte
Beschäftigung Firmen klagen über Personalmangel. Zwei Männer erzählen, wie schwer ihnen dennoch die Jobsuche fiel
Augsburg In Zeiten wie diesen ist es für Markus Kreuzer und Theo Wittke besonders hart. Von überall dröhnt es: „Vollbeschäftigung.“„Die geringste Arbeitslosenquote.“„Wieder ein Beschäftigungsrekord.“Wenn die beiden Männer das hören, fühlen sie sich ausgeschlossen, gar stigmatisiert. Ein Jahr lang war der 50-jährige Kreuzer auf der Suche nach einer neuen Stelle. Er hat etwa 80 Bewerbungen geschrieben und war zu zig Vorstellungsgesprächen eingeladen. Geklappt hat es lange nicht. Bei Wittke, 49, war es ähnlich. Auch er suchte lange, bis er wieder eine feste Anstellung fand – fast eineinhalb Jahre. Weil die beiden Männer merken, dass bei Bekannten und Arbeitgebern das Verständnis für ihre Situation fehlt, erzählen sie ihre Geschichten lieber nicht unter ihren echten Namen. Für beide ist vor allem ein Begriff ein Reizwort: Fachkräftemangel.
Davon sprechen Unternehmenschefs und Wirtschaftsforscher gerade besonders oft. Noch gehe es der Wirtschaft gut, sagen sie. Aber das könnte sich ändern, denn die Fachkräfte fehlen. Offene Stellen blieben lange unbesetzt. Das stimmt auch – sagt die Statistik. Einmal im Monat ermittelt die Bundesagentur für Arbeit, wie lange eine bei ihr gemeldete Stelle im Schnitt unbesetzt bleibt. Die aktuellsten Zahlen aus dem November 2017 zeigen für Bayern: Es dauert 111 Tage, bis jemand gefunden wird – zehn Tage länger ein Jahr zuvor. Mario Bossler, der beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mit für die Stellenerhebung zuständig ist, sagt: „Die Arbeitgeber melden aktuell so viele offene Stellen wie noch nie.“
Kreuzer kann das nicht mehr hören – es regt ihn auf. „Ich glaube auch, dass viele Stellen lange unbesetzt bleiben“, sagt er. „Aber das liegt nicht daran, dass sich auf dem Arbeitsmarkt keiner finden würde, es liegt an den Unternehmen. Hinter manchen Stellenausschreibungen stehen Firmen, die nur gucken wollen, wie das Angebot an Arbeitskräften ist.“Andere Firmen wollen aus seiner Sicht möglichst junge Ingenieure mit viel Erfahrung, die zu 100 Prozent auf die Stelle passen. „Das gibt es nicht“, sagt er.
Ein Blick in seinen Lebenslauf zeigt: Kreuzer ist so eine Fachkraft, um die Firmen eigentlich buhlen müssten. Nach dem Realschulabschluss machte er eine Ausbildung zum Maschinenschlosser und Technischen Zeichner. Darauf sattelte er einen Maschinenbautechniker und vor neun Jahren noch einen techni- schen Betriebswirt. Er arbeitete bei verschiedenen Unternehmen als Konstrukteur, Projektmanager und Vertriebsingenieur. Als sein letzter Arbeitgeber das Werk schloss, in dem der Westschwabe arbeitete, fand er nichts Neues. Bei Wittke ist es ähnlich. Der 49-Jährige aus dem Großraum Augsburg ist gelernter Drucker, hat seinen Meister gemacht. Mit Beginn der Medienkrise arbeitete er bei wechselnden Firmen – in großen Betrieben und in kleinen. In der Druckerei, im Vertrieb, im Einkauf und in der Logistik. Fast Jahre pendelte er in eine 140 Kilometer entfernte Stadt. Als er 2015 arbeitslos wurde, fand auch er nichts Neues. Beide Männer haben Erfahrung. Woran liegt es, dass sie so lange suchen mussten?
Für Kreuzer ist die Sache klar: „Die Firmen suchen nach hoch qualifiziertem Personal, wollen aber möglichst wenig bezahlen“, sagt er. „Aber ich bin doch auch etwas wert.“Dazu kommt aus seiner Sicht, dass viele Firmen nicht wüssten, wie lange die gute Konjunktur noch anhält. „Deshalb versuchen sie, offene Stellen über Zeitarbeiter zu besetzen.“Der Arbeitsmarktforscher Bossler kann das bestätigen. Er sagt: Die meisten offenen Stellen gibt es momentan in der Zeitarbeit.
„Wie oft ich gehört habe: Sie sind so gut qualifiziert, für Sie sollten wir schnell etwas finden“, sagt Wittke. Geklappt hat es nicht. Einer, der solche Situationen erklären können müsste, ist Wolfgang Braunmüller. Er leitet den Personaldienstleister Augusta mit Standorten in Augsburg, Kempten und Ingolstadt. Auch er sagt: „Ich hatte schon Bezwei werber, da dachte ich, bei denen klappt es sofort.“Doch er lag falsch. In vielen Fällen erlebt er die Situation aber anders: „Menschen, die jetzt keinen Job haben, haben meistens eine gravierende Einschränkung.“Und meint etwa Lücken in Lebensläufen. Oder Menschen, die nicht in Schicht arbeiten wollen, oder nicht an entferntere Orte pendeln möchten. All das mache es für ihn schwer, Bewerber zu vermitteln. Doch Kreuzer und Wittke haben das alles schon gemacht.
Die Statistiken der Bundesagentur zeigen noch etwas: Nicht in allen Berufen werden Fachkräfte dringend gesucht. „Es zeigt sich nach der Analyse kein flächendeckender Fachkräftemangel in Deutschland. Allerdings gibt es Engpässe in einzelnen technischen Berufsfeldern, in Bauberufen sowie in einigen Gesundheitsund Pflegeberufen“, heißt es in einer Auswertung. In der Unternehmensbefragung des IAB gaben die Betriebe an, dass sie bei 36 Prozent der Stellen Schwierigkeiten hatten, passendes Personal zu finden. „Dieser Wert lag 2011 bei 29 Prozent“, sagt Bossler. „Das zeigt: Es ist nicht für alle Stellen schwer, jemanden zu finden, aber es war schon leichter.“Die Besetzung scheitert aus Sicht der Unternehmer am häufigsten daran, dass die Bewerber nicht die passenden Qualifikationen hätten. „Das wird sogar häufiger als Grund genannt als abweichende Lohnvorstellungen.“
Kreuzer und Wittke haben in ihren Bewerbungsphasen noch etwas festgestellt: Ihrer Ansicht nach verhalten sich viele Arbeitgeber zu passiv. „Die Personalabteilungen sichten die eingehenden Bewerbungen, aber sie bemühen sich nicht aktiv, gute Fachkräfte zu finden“, sagt Wittke. Er nennt ein ganz konkretes Beispiel: Irgendwann entschied er sich, den Beruf des Druckers aufzugeben und in die Logistikbranche zu wechseln. Dazu besuchte er eine Weiterbildung bei der Industrieund Handelskammer Schwaben. „Die Menschen dort waren alle hoch motiviert, sie wollten etwas lernen“, sagt er. „Wenn ich auf der Suche nach Personal wäre, würde ich in solche Kurse gehen und Menschen anwerben.“Doch so etwas hätte er nie erlebt. „Ich glaube, in den Personalabteilungen fehlt das Wissen, was es für Weiterbildungsangebote gibt. Und es fehlt die Vernetzung“, sagt er. Es lässt sich nicht abschließend erklären, woran die Stellensuche bei Kreuzer und Wittke so lange gescheitert ist. Aber Arbeitsmarktforscher Bossler gibt zu Bedenken: „Statistiken sind ein Durchschnitt. Einzelfälle können abweichen.“
111 Tage dauert es im Schnitt, eine Stelle zu besetzen
Arbeitgeber verhalten sich bei der Suche zu passiv