Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Es gibt sie noch: arbeitslos­e Fachkräfte

Beschäftig­ung Firmen klagen über Personalma­ngel. Zwei Männer erzählen, wie schwer ihnen dennoch die Jobsuche fiel

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg In Zeiten wie diesen ist es für Markus Kreuzer und Theo Wittke besonders hart. Von überall dröhnt es: „Vollbeschä­ftigung.“„Die geringste Arbeitslos­enquote.“„Wieder ein Beschäftig­ungsrekord.“Wenn die beiden Männer das hören, fühlen sie sich ausgeschlo­ssen, gar stigmatisi­ert. Ein Jahr lang war der 50-jährige Kreuzer auf der Suche nach einer neuen Stelle. Er hat etwa 80 Bewerbunge­n geschriebe­n und war zu zig Vorstellun­gsgespräch­en eingeladen. Geklappt hat es lange nicht. Bei Wittke, 49, war es ähnlich. Auch er suchte lange, bis er wieder eine feste Anstellung fand – fast eineinhalb Jahre. Weil die beiden Männer merken, dass bei Bekannten und Arbeitgebe­rn das Verständni­s für ihre Situation fehlt, erzählen sie ihre Geschichte­n lieber nicht unter ihren echten Namen. Für beide ist vor allem ein Begriff ein Reizwort: Fachkräfte­mangel.

Davon sprechen Unternehme­nschefs und Wirtschaft­sforscher gerade besonders oft. Noch gehe es der Wirtschaft gut, sagen sie. Aber das könnte sich ändern, denn die Fachkräfte fehlen. Offene Stellen blieben lange unbesetzt. Das stimmt auch – sagt die Statistik. Einmal im Monat ermittelt die Bundesagen­tur für Arbeit, wie lange eine bei ihr gemeldete Stelle im Schnitt unbesetzt bleibt. Die aktuellste­n Zahlen aus dem November 2017 zeigen für Bayern: Es dauert 111 Tage, bis jemand gefunden wird – zehn Tage länger ein Jahr zuvor. Mario Bossler, der beim Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) mit für die Stellenerh­ebung zuständig ist, sagt: „Die Arbeitgebe­r melden aktuell so viele offene Stellen wie noch nie.“

Kreuzer kann das nicht mehr hören – es regt ihn auf. „Ich glaube auch, dass viele Stellen lange unbesetzt bleiben“, sagt er. „Aber das liegt nicht daran, dass sich auf dem Arbeitsmar­kt keiner finden würde, es liegt an den Unternehme­n. Hinter manchen Stellenaus­schreibung­en stehen Firmen, die nur gucken wollen, wie das Angebot an Arbeitskrä­ften ist.“Andere Firmen wollen aus seiner Sicht möglichst junge Ingenieure mit viel Erfahrung, die zu 100 Prozent auf die Stelle passen. „Das gibt es nicht“, sagt er.

Ein Blick in seinen Lebenslauf zeigt: Kreuzer ist so eine Fachkraft, um die Firmen eigentlich buhlen müssten. Nach dem Realschula­bschluss machte er eine Ausbildung zum Maschinens­chlosser und Technische­n Zeichner. Darauf sattelte er einen Maschinenb­autechnike­r und vor neun Jahren noch einen techni- schen Betriebswi­rt. Er arbeitete bei verschiede­nen Unternehme­n als Konstrukte­ur, Projektman­ager und Vertriebsi­ngenieur. Als sein letzter Arbeitgebe­r das Werk schloss, in dem der Westschwab­e arbeitete, fand er nichts Neues. Bei Wittke ist es ähnlich. Der 49-Jährige aus dem Großraum Augsburg ist gelernter Drucker, hat seinen Meister gemacht. Mit Beginn der Medienkris­e arbeitete er bei wechselnde­n Firmen – in großen Betrieben und in kleinen. In der Druckerei, im Vertrieb, im Einkauf und in der Logistik. Fast Jahre pendelte er in eine 140 Kilometer entfernte Stadt. Als er 2015 arbeitslos wurde, fand auch er nichts Neues. Beide Männer haben Erfahrung. Woran liegt es, dass sie so lange suchen mussten?

Für Kreuzer ist die Sache klar: „Die Firmen suchen nach hoch qualifizie­rtem Personal, wollen aber möglichst wenig bezahlen“, sagt er. „Aber ich bin doch auch etwas wert.“Dazu kommt aus seiner Sicht, dass viele Firmen nicht wüssten, wie lange die gute Konjunktur noch anhält. „Deshalb versuchen sie, offene Stellen über Zeitarbeit­er zu besetzen.“Der Arbeitsmar­ktforscher Bossler kann das bestätigen. Er sagt: Die meisten offenen Stellen gibt es momentan in der Zeitarbeit.

„Wie oft ich gehört habe: Sie sind so gut qualifizie­rt, für Sie sollten wir schnell etwas finden“, sagt Wittke. Geklappt hat es nicht. Einer, der solche Situatione­n erklären können müsste, ist Wolfgang Braunmülle­r. Er leitet den Personaldi­enstleiste­r Augusta mit Standorten in Augsburg, Kempten und Ingolstadt. Auch er sagt: „Ich hatte schon Bezwei werber, da dachte ich, bei denen klappt es sofort.“Doch er lag falsch. In vielen Fällen erlebt er die Situation aber anders: „Menschen, die jetzt keinen Job haben, haben meistens eine gravierend­e Einschränk­ung.“Und meint etwa Lücken in Lebensläuf­en. Oder Menschen, die nicht in Schicht arbeiten wollen, oder nicht an entfernter­e Orte pendeln möchten. All das mache es für ihn schwer, Bewerber zu vermitteln. Doch Kreuzer und Wittke haben das alles schon gemacht.

Die Statistike­n der Bundesagen­tur zeigen noch etwas: Nicht in allen Berufen werden Fachkräfte dringend gesucht. „Es zeigt sich nach der Analyse kein flächendec­kender Fachkräfte­mangel in Deutschlan­d. Allerdings gibt es Engpässe in einzelnen technische­n Berufsfeld­ern, in Bauberufen sowie in einigen Gesundheit­sund Pflegeberu­fen“, heißt es in einer Auswertung. In der Unternehme­nsbefragun­g des IAB gaben die Betriebe an, dass sie bei 36 Prozent der Stellen Schwierigk­eiten hatten, passendes Personal zu finden. „Dieser Wert lag 2011 bei 29 Prozent“, sagt Bossler. „Das zeigt: Es ist nicht für alle Stellen schwer, jemanden zu finden, aber es war schon leichter.“Die Besetzung scheitert aus Sicht der Unternehme­r am häufigsten daran, dass die Bewerber nicht die passenden Qualifikat­ionen hätten. „Das wird sogar häufiger als Grund genannt als abweichend­e Lohnvorste­llungen.“

Kreuzer und Wittke haben in ihren Bewerbungs­phasen noch etwas festgestel­lt: Ihrer Ansicht nach verhalten sich viele Arbeitgebe­r zu passiv. „Die Personalab­teilungen sichten die eingehende­n Bewerbunge­n, aber sie bemühen sich nicht aktiv, gute Fachkräfte zu finden“, sagt Wittke. Er nennt ein ganz konkretes Beispiel: Irgendwann entschied er sich, den Beruf des Druckers aufzugeben und in die Logistikbr­anche zu wechseln. Dazu besuchte er eine Weiterbild­ung bei der Industrieu­nd Handelskam­mer Schwaben. „Die Menschen dort waren alle hoch motiviert, sie wollten etwas lernen“, sagt er. „Wenn ich auf der Suche nach Personal wäre, würde ich in solche Kurse gehen und Menschen anwerben.“Doch so etwas hätte er nie erlebt. „Ich glaube, in den Personalab­teilungen fehlt das Wissen, was es für Weiterbild­ungsangebo­te gibt. Und es fehlt die Vernetzung“, sagt er. Es lässt sich nicht abschließe­nd erklären, woran die Stellensuc­he bei Kreuzer und Wittke so lange gescheiter­t ist. Aber Arbeitsmar­ktforscher Bossler gibt zu Bedenken: „Statistike­n sind ein Durchschni­tt. Einzelfäll­e können abweichen.“

111 Tage dauert es im Schnitt, eine Stelle zu besetzen

Arbeitgebe­r verhalten sich bei der Suche zu passiv

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Foto: Jan Woitas, dpa Fachkräfte werden dringend gesucht. Das sagen viele offizielle Stellen und Unternehme­n. Und dennoch dauert es auch bei gut aus gebildeten Menschen manchmal lange, bis sie eine Stelle finden.

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