Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Magd bricht ihr Schweigen

Nell Leyshon gelingt ein fesselndes Porträt

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Wort für Wort ringt sich Mary ab. Für die Wahrheit. Die will sie uns erzählen. In ganz einfachen Sätzen. Und es sind Sätze, die fesseln. Denn so schlicht die Sprache ist, so beeindruck­end sind die Bilder, die entstehen. Auch wenn es düstere Bilder sind. Es sind Bilder eines Lebens, wie es viele führen mussten. In einer Zeit, in der die Gesellscha­ft unüberwind­bar gegliedert war, in Reich und Arm, in Herr und Knecht. Marys Position ist klar: Sie ist Magd. Was sie uns schildert, trägt sich in England zu. 1831. Mary ist 15 Jahre alt. Aufgewachs­en als vierte und jüngste Tochter eines armen, jähzornige­n Bauern führt sie ein kärgliches Dasein. Doch sie ist pragmatisc­h. Selbstbewu­sst. Lebensklug. Fleißig. Als ihr Vater sie für wenig Geld in den Dienst des Pfarrers verkauft, dessen kranke Frau sie pflegen soll, scheint sich ihr Schicksal zum Besseren zu wenden. Schließlic­h lehrt sie der Pfarrer etwas Besonderes für ein Mädchen wie sie: Schreiben und Lesen. Ihr ganzer Stolz wird es sein, ihrem geliebten alten Großvater, der zwischen Apfelkiste­n auf seinen Tod wartet, ein einziges Mal aus der Bibel vorzulesen.

Mit ihrem Roman „Die Farbe von Milch“gibt Nell Leyshon einer jungen, mutigen Frau eine Stimme. Und Mary spricht für viele. Für all die Geknechtet­en, Ausgeliefe­rten ihrer Zeit. Doch Mary findet sich mit ihrer Rolle des wehrlosen Opfers nicht ab. Daniela Hungbaur

 ?? Eisele Verlag, 208 S., 18 Euro ?? Nell Leyshon: Die Farbe von Milch. a. d. Engl. von Wibke Kuhn.
Eisele Verlag, 208 S., 18 Euro Nell Leyshon: Die Farbe von Milch. a. d. Engl. von Wibke Kuhn.

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