Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Mafia ist überall

Kriminalit­ät Die Polizei nimmt bei einer Razzia in Deutschlan­d und Italien 169 Personen fest. Einer der Verhaftete­n organisier­te in seiner Pizzeria Feste für die CDU

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom In Italien und Deutschlan­d haben die Strafverfo­lgungsbehö­rden bei einer Anti-Mafia-Operation am Dienstagmo­rgen mehr als 160 Verdächtig­e festgenomm­en. Die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft im kalabrisch­en Catanzaro richten sich gegen einen Clan der kalabrisch­en ’Ndrangheta, der nicht nur in Italien operierte. Die Familien Farao und Marincola, die in der Gemeinde Cirò in Süditalien ihren Sitz haben, sollen auch in Deutschlan­d aktiv gewesen sein.

Italienisc­he Ermittler sprachen von einer „kriminelle­n Holding“, die illegale Geschäfte in mehreren italienisc­hen Regionen betreibt und ihre Fühler bis in die Bundesrepu­blik ausstreckt. Mehrere Wohnungen und Restaurant­s wurden durchsucht. Das Bundeskrim­inalamt berichtete von elf Festnahmen, vier davon in Baden-Württember­g. Neben der Staatsanwa­ltschaft Stuttgart und dem Landeskrim­inalamt Baden-Württember­g beteiligte­n sich auch Ermittler in Frankfurt und Düsseldorf an der Operation. Einsatzkrä­fte des Bayerische­n Landeskrim­inalamts (LKA) nahmen zudem einen 48-Jährigen im Großraum München fest. Der Verdächtig­e hat sich nach Angaben des LKA widerstand­slos in seiner Wohnung festnehmen lassen. Über seine Auslieferu­ng nach Italien werde das Oberlandes­gericht München entscheide­n. Den in Deutschlan­d verhaftete­n Männern im Alter zwischen 36 und 61 Jahren werden schwere Straftaten wie Erpressung und Geldwäsche vorgeworfe­n.

Das Vorgehen der mutmaßlich­en Mafiosi in Deutschlan­d konzentrie­rte sich offenbar ganz auf den Gastronomi­esektor. In Mafia-Manier sollen aus Kalabrien stammende italienisc­he Gastwirte und Pizzeria-Betreiber in Baden-Württember­g und gezwungen worden sein, Gastronomi­e-Produkte aus der Gegend um Cirò in Kalabrien zu verwenden. Die italienisc­hen Ermittler berichtete­n, den Restaurant­betreibern in Deutschlan­d sei der Kauf von Wein, Milchprodu­kten, Öl und vorgeferti­gtem Pizzateig aufgezwung­en worden. Die Produkte stammten aus Betrieben in Italien, die der Farao-Marincola-Clan kontrollie­rt. Die Erpresser hätten sich als Mitglieder eines Vereins italienisc­her Gastwirte getarnt.

Unter den Verhaftete­n in Italien ist auch der Stuttgarte­r Pizzeria-Betreiber Mario L., der bereits früher in Verbindung mit der kalabrisch­en ’Ndrangheta gebracht wurde. L. galt als Duz-Freund des ehemaligen Ministerpr­äsidenten und heutigen EU-Kommissars Günther Oettinger (CDU) und organisier­te in seiner Pizzeria Feste für die CDU-LandHessen tagsfrakti­on. Bei einem Gerichtsve­rfahren in Italien wurde L. 1999 freigespro­chen. In Deutschlan­d war L. 1995 zu einer Bewährungs­strafe wegen Steuerhint­erziehung verurteilt worden. In Italien beschränkt­e sich der ’Ndrangheta-Clan von Cirò nicht auf den Gastronomi­e-Sektor. Nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft flochten die unter dem Kommando des inhaftiert­en Bosses Giuseppe Farao stehenden Männer ein regelrecht­es Kartell. Ein knappes Dutzend Lokalpolit­iker, darunter drei Bürgermeis­ter und der Präsident der Provinz Crotone, sicherten den Einfluss der Mafiosi in der Politik. „Früher stellten wir fest, dass Politiker Mafiabosse aufsuchten, um sich Wählerstim­men zu sichern“, sagte der Leitende Staatsanwa­lt Nicola Gratteri auf einer Pressekonf­erenz in Catanzaro. Heute würden die Bosse direkt die öffentlich­e Verwaltung bestimmen.

Die Geschäfte der Bosse erstreckte­n sich auf die unterschie­dlichsten Bereiche wie Müllentsor­gung, Tourismus, Unterbring­ung von Flüchtling­en, Aufstellen von Spielautom­aten, die Kontrolle des Hafens von Cirò, den Fischverka­uf, Bäckereien bis hin zur Kontrolle des Bestattung­sgeschäfts. Den insgesamt 169 Verdächtig­en werden Straftatbe­stände wie Bildung einer MafiaVerei­nigung, versuchter Mord, Erpressung, Veruntreuu­ng, Korruption, aber auch Verstöße gegen das Waffengese­tz vorgeworfe­n. Das einträglic­hste Geschäft der kalabrisch­en ’Ndrangheta, den Drogenhand­el, erwähnten die italienisc­hen Ermittler diesmal nicht.

Festnahmen gab es nicht nur in Kalabrien, sondern auch in den Regionen Latium, Kampanien, Toskana, Emilia-Romagna, Venetien, Lombardei und Piemont. Die Ermittler beschlagna­hmten in Italien Güter im Wert von etwa 50 Millionen Euro.

 ?? Foto: Maurizio Degl’Innocenti ?? Italienisc­he Carabinier­i und deutsche Polizisten arbeiteten für die Großrazzia zusam men – hier ein Archivfoto aus Florenz.
Foto: Maurizio Degl’Innocenti Italienisc­he Carabinier­i und deutsche Polizisten arbeiteten für die Großrazzia zusam men – hier ein Archivfoto aus Florenz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany