Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn der Trainer zum Fan wird
Interview Was heimische Coaches zur beginnenden Handball-Europameisterschaft sagen
Landkreis Wenn am heutigen Freitag die Handball-Europameisterschaft beginnt, werden auch die Handballer aus dem Augsburger Land vor dem Fernseher Platz nehmen, um das Auftaktspiel der deutschen Mannschaft in Zagreb gegen Montenegro (17.15 Uhr) zu verfolgen. Immerhin werden diesmal zumindest die Spiele mit deutscher Beteiligung in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern übertragen. Wir sprachen über das Ereignis mit den Trainern Christian Olmer (TSV Meitingen/Bezirksliga) und Christian Boppel (TSV Gersthofen/Bezirksoberliga).
Deutschland ist Titelverteidiger. Wie weit geht’s diesmal im Turnier? Olmer: Es wird viel vom Selbstvertrauen und von der Fitness abhängen. Mit Erfolgserlebnissen aus den ersten Spielen reicht es vielleicht für das Halbfinale und dann sind es eh meist sehr sehr enge Spiele. Es wird sich zeigen, ob Prokop mit seiner mutigen Aufstellung recht behält. Frankreich halte ich persönlich für die beste Mannschaft, aber die vielen Spiele in so kurzer Zeit lassen wenig Regeneration zu.
Boppel: Deutschland ist trotz der Nominierungsdiskussion auf jeden Fall auch Mitfavorit. Wir haben einen sehr ausgeglichenen Kader und können als Turniermannschaft sicherlich einiges erreichen. Favorit ist ganz klar Frankreich, wobei die Mannschaft eigentlich schon satt von den Titeln der letzten Jahre sein müsste. Kroatien darf man bei einer Heim-WM nie unterschätzen.
Gibt es einen Spieler, der Ihren Vorstellungen vom perfekten Handballer nahekommt? Und warum?
Olmer: Ivan Cupic und Luc Abalo sind für mich herausragende Handballer, da sie trotz normaler Körpergröße im Konzert der Großen beeindruckend mitspielen.
Boppel: Domagoj Duvnjak ist defensiv und offensiv für mich der beste Spieler. Wenn er wirklich wieder fit ist, können es die Kroaten auf jeden Fall auch packen.
Wenn Sie selbst Spitzenhandball verfolgen: Sehen Sie sich dann vor allem als Fan oder kommt doch eher der Trainer/Analytiker durch? Olmer: Ich stelle mir schon immer gerne die Frage, wie hättest du entschieden? Oder wo würdest du Spieler mit solchen Fähigkeiten einsetzen? Wenn man nicht in der Verantwortung steht, ist das natürlich viel leichter.
Boppel: Bei Spielen mit deutscher Beteiligung bin ich definitiv der Fan, alles andere sehe ich eher als Analytiker.
Gibt es Beispiele, wie Sie „im Großen“Gesehenes später „im Kleinen“erfolgreich einbauen können?
Olmer: Wirklich zur Anwendung kommt Gesehenes eher nicht, da fehlt es eigentlich an allem. An der Technik, Athletik und so weiter. Boppel: Das ist schwierig. Auf unserem Niveau leben wir vor allem von Emotionen und Willen. Technisch können meine Jungs leider nicht alles umsetzen, was die „Großen“können.
Stichwort Nachwuchs: Kann ein solches Großereignis nachhaltig positive Wirkungen in der Region haben? Oder ist der Zyklus EM/WM/Olympia in Sportarten wie Handball oder Eishockey inzwischen zu eng, als dass derartige Höhepunkte überhaupt noch ernsthaft wahrgenommen werden? Olmer: Die Wirkung eines Großereignisses auf den Nachwuchs hält sich sehr in Grenzen. Da leben wir doch eher von der Qualität und Mundpropaganda der Jugendlichen, die in den Vereinen trainieren. Boppel: Ganz klar viel zu eng. Selbst ich muss jedes Jahr aufs Neue überlegen, was wir für ein Handballereignis dieses Jahr haben. Hier sollten die Verantwortlichen wirklich mal überdenken, ob so ein Rhythmus sinnvoll ist.
Zumindest die deutschen Spiele kommen in ARD/ZDF – hilft das dem Handball?
Olmer: Im TV ist der Fußball nicht zu schlagen. Die Regeln sind leicht verständlich, und die Stars sind alle Millionäre. Wer wäre das nicht gern? Handballmillionäre muss man suchen.
Boppel: Das hilft schon. Allerdings ist die mediale Präsenz des Handballs immer noch sehr stiefmütterlich. Das Testspiel gegen Island war nur im Internet-Stream zu verfolgen. Beim Fußball wäre das undenkbar ...