Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die fast unsichtbare Grenze
100 Jahre Freistaat Bayern Wo sich Schwaben und Altbayern mit dem Allgäu treffen. An einem abgelegenen Punkt mit allerlei Aussicht auf drei Regionen zwischen Lech und Wertach
Landkreis Augsburg Wie kann es so still sein an einem Fleck, an dem drei Welten aneinanderstoßen? Schon seit einer Viertelstunde kam kein Auto vorbei. Nur ein paar Krähen krächzen von zwei Birken am Straßenrand herunter. Zwischen ihnen steht ein großes Feldkreuz. Im Hintergrund fegt der Föhnwind den Blick auf das weiß-blaue Alpenpanorama frei. Unterbrochen wird es nur vom Rand einer lichten Waldung. Wie ein Werbeschild strahlt am Straßenrand das Landkreiswappen von Landsberg auf weißem Schild. Hier beginnt Oberbayern und prahlt gleich mit gängigen Landschaftsklischees.
Hinter uns liegt Schwaben. Mit seinem südlichsten Zipfel bei Schwabmühlhausen bildet der Landkreis Augsburg hier zugleich eine Grenze zu Altbayern. Am linken Straßenrand begrüßt seine Landkreistafel die Menschen, die von Hurlach her die unsichtbare Grenze queren.
Unsichtbar? Nein, eigentlich nicht. Wendet man sich nämlich zurück, bietet sich gleich ein anderes Die Landkreistafel ist verbogen, der Mast steht schief. Sparsam an Reizen wirkt in diesen Winterwochen die Ebene. Das Auge bleibt erst weit entfernt am niederen Horizont hängen. Dort spitzeln Kirchturmspitzen selbst entfernter Orte hoch. Auch die unterschiedlichen Formen ihrer Dächer zeigen: Hier mischt sich die Architektur bayerischer Kulturen.
Ein Zwiebeldach da, der strenge Sattel eines Rautendachs dort, selbst die extrem steile Spitze von St. Michael in Schwabmünchen ist im Norden auszumachen. Im Westen fällt die markante Laternenhaube von St. Martin in Lamerdingen auf. Sie steht schon auf Allgäuer Grund.
Die Gemeinde ist das nördlichste Dorf des Ostallgäus. Ihre Fluren reichen bis kurz vor den Straßenrand zwischen Schwabmühlhausen und Hurlach. Irgendwo am Waldrand, den ein Bach säumt, muss der gemeinsame Vermessungspunkt dreier Landkreise aus drei unterschiedlichen Regionen sein. Ein Grenzstein ist in dem Gestrüpp nicht auszumachen. Aber geben dürfte es ihn wohl. Ein Jägerstand steht dafür unübersehbar genau da, wo laut Karte Altbayern, das Allgäu und das übrige Schwaben zusammentreffen.
„Nassenwang“nennt sich die Flur auf Allgäuer Seite. Der Wald wurde in mehreren Etappen gelichtet. Feuchte Wiesen stehen da, wo nicht neu aufgeforstet wurde. Mehrere Hochsitze säumen die Lichtung. Jetzt am Tag ist keiner besetzt. Fünf Rehe nützen das aus. Kurz zuvor ästen sie noch nahe der Straße und waren dann vor dem Auto des Reporters davongesprungen, als dieses anhielt.
So ein Stopp kommt offenbar selten vor am Schnittpunkt dreier bedeutsamer Regionen in Bayern. Gelassen setzen die Tiere ihre Mahlzeit fort. Diesmal vor einer Baumkulisse. Das Allgäu kann sich hier nicht mit der Voralpenlandschaft des Oberlands schmücken. Nur mit etwas Abstand zum Waldrand kann der Blick bei klarer Sicht der Perlenschnur der Allgäuer Berge folgen – bis diese am Bodensee eine ganz andere Region trifft.
Weiter rechts vermitteln zwei nahe Windräder den Eindruck von Technik und Moderne. Das würde ja durchaus zum Augsburger Raum passen, trifft aber nicht zu. WähBild. rend da nämlich gerne auf diese „Energiespargel“geschimpft wird, verspüren Erbauer hoher Masten im Ostallgäu weniger Gegenwind – Landschaftsbild hin, Panorama her. So stehen auch diese Windräder jenseits des kaum sichtbaren Grenzpunktes dreier Regionen, die doch alle zusammen zum geschätzten Lebensraum und zur Heimat vieler Menschen zwischen Lech und Wertach gehören.