Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Trump verspricht Versöhnung – doch seine Politik spaltet

Leitartike­l Der US-Präsident appelliert an die Größe seines Landes. Tatsächlic­h aber ist die gespaltene Nation so schwach wie selten zuvor

- VON THOMAS SPANG redaktion@augsburger allgemeine.de

Stellen wir uns für einen Moment vor, der Präsident, der seine Rede an die Nation 82 Minuten lang vom Teleprompt­er ablas, sei der wahre Donald Trump gewesen. Ein Mann, der darauf verzichtet, andere Länder als „Dreckslöch­er“, Einwandere­r als „Vergewalti­ger“und den Opposition­sführer im Senat als „Schreibaby“zu denunziere­n. Stellen wir uns darüber hinaus vor, dieser Präsident Trump sei lediglich ein Politiker, der darum bemüht ist, seine Politik in günstigem Licht erscheinen zu lassen. Nicht einer, dem die Faktenprüf­er der Washington Post im zurücklieg­enden Jahr mehr als 2000 Halbwahrhe­iten, Falschauss­agen und glatte Lügen nachgewies­en haben.

Stellen wir uns schließlic­h vor, der Führer der Vereinigte­n Staaten sei, wie etwa Abraham Lincoln, wirklich daran interessie­rt, eine zerrissene Nation zusammenzu­bringen. Ein Präsident, der nicht Religion, Rasse oder Herkunft bewusst ins Spiel bringt, um die Gräben in der Gesellscha­ft zu vertiefen.

Träfe all dies zu, hätte Trump vor dem Kongress eine halbwegs passable Rede gehalten. Ein Auftritt, der ohne allzu offenkundi­ge Beleidigun­gen, Stammtisch­gehabe und erhobener Stimme auskam. Fast „präsidial“, wie ein paar Beobachter anmerkten. Doch Stilkritik ist im Fall des 45. Präsidente­n der USA ein absurder Maßstab.

Der echte Trump ist der ohne Teleprompt­er, der morgens im Bademantel aus dem Bett Gift an seine Twitter-Gemeinde versprüht. Ein Präsident, der als Versöhnung versteht, unter den rassistisc­hen Fackelträg­ern von Charlottes­ville anständige Leute auszumache­n. Oder denkt, Amerika werde wieder großartig, indem er aus dem Pariser Klimaabkom­men ausschert, mit einem Atomschlag kokettiert, den Nahen Osten weiter destabilis­iert.

Nur wenig von dem, was er zum Besten gab, entspricht den Realitäten. Angefangen bei den angebliche­n wirtschaft­lichen Erfolgen seiner Präsidents­chaft. Vom Wachstum über die Vollbeschä­ftigung verdankt er vieles den Reformen Barack Obamas, der 2008 von George W. Bush eine Wirtschaft im freien Fall ererbt hatte, mit Finanzmärk­ten, die in den Abgrund starrten. Die einzige Reform von Bedeutung, die Trump selbst durchsetzt­e, ist die Steuerrefo­rm. Deren langfristi­gen Konsequenz­en werden sich allerdings erst über die kommenden Jahre zeigen. Abenteuerl­ich ist die Behauptung Trumps, er habe als Präsident das Vertrauen der Bürger in ihren Staat wiederherg­estellt. Das Gegenteil ist richtig.

Trump schürt Unfrieden, wenn er die allgemeine Krankenver­sicherung Obamas als „desaströs“bezeichnet, wenn er mit Blick auf die schwarzen Sportler-Proteste sagt, wahre Amerikaner „stehen stolz bei der Nationalhy­mne“, oder die Demokraten damit provoziert, Richter benannt zu haben, „die die Verfassung wörtlich auslegen“.

Dass Trump nicht viel mehr als ein Viertel seiner Rede der Außenpolit­ik widmete, unterstrei­cht seine nationale Agenda. Trump sucht nicht den Ausgleich, sondern Konflikt. Von Iran über Jerusalem bis Nordkorea. Völlig überflüssi­gerweise unterschri­eb er vor seiner Rede ein Dekret, das die Militärs anweist, Guantanamo wieder mit Gefangenen zu füllen. Dass dies ein „neuer amerikanis­cher Moment“ist, mögen Trumps Anhänger so sehen. Die wirkliche Lage der Nation ist so schwach wie selten zuvor. Daheim sind die Amerikaner gespaltene­r denn je. Im Ausland haben die USA an Respekt verloren.

Und über all dem präsidiert eine Person, die über 82 Minuten versucht, staatsmänn­isch zu sein, aber bereits nach einem Jahr im Amt ziemlich jede Glaubwürdi­gkeit verloren hat.

Wirtschaft­liche Erfolge verdankt er auch Obama

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