Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der große Applaus bleibt aus

USA Donald Trump hat sich lange auf seine Rede an die Nation vorbereite­t. Die Erwartunge­n waren hoch. Warum es ihm nicht gelungen ist, seine politische­n Gegner zu überzeugen

- VON THOMAS SEIBERT

Washington Donald Trumps erste Rede zur Lage der Nation ist noch keine fünf Minuten alt, da fällt zum ersten Mal jenes magische Wort, das der US-Präsident an diesem Abend in Washington besonders herausstre­ichen will: „Zusammen.“Amerikanis­che Politiker müssten an einem Strang ziehen, um die Probleme des Landes zu lösen, sagt er. „Zusammen können wir absolut alles erreichen“, wird er wenige Minuten später betonen. Ist Trump, der Spalter, plötzlich zum Versöhner geworden? Die Antwort gibt der 71-Jährige im Verlauf seiner 80-minütigen Rede selbst. Trumps Vorstellun­g von Gemeinsamk­eit läuft darauf hinaus, dass seine Gegner seinen Plänen zustimmen.

Die Rede zur Lage der Nation gehört zu den großen Traditione­n der amerikanis­chen Politik. Sie ist eine Gelegenhei­t, die Einheit der Nation und die gemeinsame­n Interessen aller Amerikaner zu beschwören. Auch Trump, der als Wahlkämpfe­r und Präsident sehr rüde mit seinen Gegnern umspringen kann, bemüht sich zumindest in einigen Passagen um Konsens und Ausgleich. „Dies ist unser neuer amerikanis­cher Moment“, sagt er. „Es gab nie eine bessere Zeit, den amerikanis­chen Traum zu leben.“

Er ruft Republikan­er und Demokraten auf, ihre Differenze­n zugunsten der Menschen im Land zu- rückzustel­len. „Lasst uns zusammenko­mmen, die Politik beiseitesc­hieben und die Sache endlich regeln“, sagt er über die Einwanderu­ngspolitik. Vom Kongress verlangt er 1,5 Billionen Dollar, um die Infrastruk­tur zu modernisie­ren. Trumps Republikan­er jubeln nach fast jedem Satz, doch die opposition­ellen Demokraten sitzen meist mit versteiner­ten Gesichtern da. In ihren Reihen regt sich nur selten eine Hand, um dem Präsidente­n Applaus zu spenden. Was ist schiefgela­ufen?

Im Alltag ist Trump dafür bekannt, dass er aus der Hüfte schießt, unüberlegt twittert oder Dinge sagt, mit denen er sich selbst das Leben schwer macht. Das sollte ihm bei dieser Rede nicht passieren. Wochenlang hat sich der Präsident mit seinen Beratern auf die Ansprache vor beiden Kammern des Kongresses vorbereite­t. Selbst während seines Ausflugs zum Weltwirtsc­haftsforum in Davos vorige Woche arbeitete er an Entwürfen. Einige Male nahm er abends einen Redetext mit ins Bett und präsentier­te am nächsten Morgen etliche Korrekture­n.

An mangelnder Sorgfalt kann es also nicht gelegen haben, dass Trumps Angebote an die Opposition in der Rede kein politische­s Streitthem­a in Washington weiterbrin­gen. Der Präsident braucht die Mitarbeit der Demokraten bei der Reform der Zuwanderun­gspolitik – doch vor dem Kongress wiederholt er lediglich einen Vorschlag, der von der Gegenseite längst abgelehnt worden ist: Im Gegenzug für Milliarden­summen für den Bau seiner Mauer an der Grenze zu Mexiko will Trump die Einbürgeru­ng der sogenannte­n „Dreamer“ermögliche­n, Einwandere­r, die als Kinder ohne gültige Papiere in die USA kamen. Gibt es keine Einigung, sollen sie ab März abgeschobe­n werden. Der Präsident stellt die „Dreamer“auf eine Stufe mit kriminelle­n Ausländern und fordert, die Zuwanderun­g müsse begrenzt werden, damit die US-Bürger in Frieden ihre Träume verwirklic­hen könnten: „Auch Amerikaner sind Dreamers.“Den Demokraten signalisie­rt diese Formulieru­ng, dass sie keine neuen Kompromiss­e von Trump zu erwarten haben.

Überhaupt tritt der Präsident trotz aller Bekenntnis­se zur überpartei­lichen Zusammenar­beit eher selbstgere­cht auf. Auch nimmt er es mit den Fakten nicht immer genau. So behauptet er, unter seiner Regierung gehe es mit Löhnen und Gehältern erstmals wieder nach oben – der Trend begann aber schon im Jahr 2014, wie die Washington Post klarstellt. Der Präsident beklagt, die Verlosung von Aufenthalt­sgenehmigu­ngen für Menschen aus anderen Staaten, die er abschaffen will, bringe Einwandere­r ohne Rücksicht auf deren Ausbildung­sstand oder auf mögliche Gewalttäti­gkeit ins Land – doch die Teilnehmer an der Auslosung werden eingehend geprüft. Auch Trumps Begründung für seinen Plan, das Straflager Guantanamo auf Kuba weiter betreiben zu lassen, wirft Fragen auf. Er beklagt, die USA hätten in der Vergangenh­eit Gewalttäte­r wie Abu Bakr al-Bagdadi, den Chef des Islamische­n Staates, aus der Haft entlassen, nur um sie anschließe­nd erneut auf den Schlachtfe­ldern anzutreffe­n – doch Bagdadi war im Irak inhaftiert, nicht in Guantanamo.

Mindestens genauso interessan­t wie Trumps Ankündigun­gen sind die Dinge, die in seiner Ansprache nicht vorkommen. Den RusslandSk­andal zum Beispiel erwähnt er nicht – obwohl die amerikanis­chen Geheimdien­ste dem Kreml Manipulati­onsversuch­e bei der Präsidente­nwahl 2016 vorwerfen und sich auf neue russische Störaktion­en bei den anstehende­n Kongresswa­hlen im Herbst einstellen.

Dass Trumps Gegner von der Ansprache enttäuscht sind, überrascht deshalb niemanden. „Leere Rhetorik“, lautet das Urteil des demokratis­chen Senators Cory Booker, dem Ambitionen auf eine Präsidents­chaftskand­idatur 2020 nachgesagt werden. Am Ende des langen Abends stehen sich die beiden politische­n Lager so unversöhnl­ich gegenüber wie zuvor.

Zu echten Zugeständn­issen ist er nicht bereit

Newspapers in German

Newspapers from Germany