Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kaeser in der Siemens-Falle
Irgendwann läuft jeder KonzernChef des Hauses in die SiemensFalle. Denn der Riese ist wie VW im Bewusstsein vieler Bürger ein Stück Deutschland. Das gilt, selbst wenn Siemens längst den Großteil des Geschäfts außerhalb der Heimat erbringt. So erwirtschaftet das Unternehmen nur noch 13 Prozent des Umsatzes in Deutschland, beschäftigt dort aber noch 31 Prozent der weltweit 386000 Mitarbeiter.
Das Unternehmen ist ebenso chinesisch, amerikanisch wie deutsch. Doch hierzulande wird das anders gesehen. Wenn Siemens wie jetzt rund 3000 Jobs in Deutschland abbauen will, schaukelt sich der Vorgang zu einer Art Staatsaffäre auf, auch wenn der Konzern im Gegenzug an anderer Stelle mehr Arbeitsplätze schafft. Die IG Metall trommelt und Politiker wie SPD-Chef Schulz empören sich. Das ist die Siemens-Falle. Ex-UnternehmensChef von Pierer ist mehrfach in sie getappt. Jetzt hat es Kaeser erwischt. Wie Pierer muss er mit verletzender Kritik leben. Dass die Siemens-Falle zugeschnappt ist, verdankt Kaeser aber auch seinem ungestümen Strategiestil. Er hätte wissen müssen, wie groß die nationale Empörung ausfällt, wenn er in ostdeutschen Industrie-Mangelgebieten und AfD-Hochburgen Standorte schließen will.
Da war von Pierer einst mehr Glück vergönnt. Er wurde in Erfurt von Arbeitnehmervertretern zum „Betriebsrat ehrenhalber“ernannt. Das bleibt Kaeser verwehrt, außer er befreit sich aus der Siemens-Falle und rettet doch noch zumindest ein ostdeutsches Werk. noch sein Vater. Er müsse sich um den 80-Jährigen ja kümmern.
Auch Bogdan Richter, 44, will nicht wegziehen, wenn Siemens seinen Arbeitsplatz in Görlitz streichen sollte. „Ich habe zwei Kinder, das Haus ist noch nicht abbezahlt.“Für ihn sei es als Schwerbehinderten unmöglich, in der Region eine neue Stelle zu finden. „Ich kann ja nicht mein Haus etwa nach Augsburg mitnehmen!“Das leuchtet ein. Solche Schicksale werden in der Olympiahalle nicht verhandelt. Vor der Hauptversammlung hatte Kaeser allerdings vage angedeutet, es könne eine Lösung für Görlitz geben. Doch die Politik müsse mit ins Boot. Vielleicht könnte das Werk auf Batterietechnologie umstellen. Aber all das sind keine konkreten Zusagen. Noch stehen lange Verhandlungen an. Auf alle Fälle könnte sich Siemens eine Rettung des Görlitzer Betriebes leisten. Denn 2017 war das operativ stärkste Jahr der 170-jährigen Firmengeschichte. Die Ertragskraft war noch besser als im Rekordjahr 2016. Es stehen Bestellungen von 128 Milliarden in den Büchern. So viele wie nie zuvor.
Bei den Demonstranten fördert das nur den Zorn. Einige haben eine Kaeser-Skulptur gebaut. Dort steht der Siemens-Chef auf einer Presse und zerdrückt Mitarbeiter. Unten kommen 500-Euro-Scheine raus. André Seidel, 54, arbeitet für Siemens in Berlin. Auch seine Stelle sei bedroht. Er deutet auf die Skulptur: „Wir hätten Dollarscheine dazulegen sollen. Damit spielt er auf Äußerungen Kaesers gegenüber Donald Trump auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum an. Der Deutsche hatte dem US-Präsidenten dort zu dessen Steuerreform gratuliert und angekündigt, eine neue Generation von Gasturbinen in Amerika zu entwickeln. Das empört einen Erfurter Siemens-Mitarbeiter: „Kaeser kriecht Trump in den Hintern.“