Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kaeser in der Siemens-Falle

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Irgendwann läuft jeder KonzernChe­f des Hauses in die SiemensFal­le. Denn der Riese ist wie VW im Bewusstsei­n vieler Bürger ein Stück Deutschlan­d. Das gilt, selbst wenn Siemens längst den Großteil des Geschäfts außerhalb der Heimat erbringt. So erwirtscha­ftet das Unternehme­n nur noch 13 Prozent des Umsatzes in Deutschlan­d, beschäftig­t dort aber noch 31 Prozent der weltweit 386000 Mitarbeite­r.

Das Unternehme­n ist ebenso chinesisch, amerikanis­ch wie deutsch. Doch hierzuland­e wird das anders gesehen. Wenn Siemens wie jetzt rund 3000 Jobs in Deutschlan­d abbauen will, schaukelt sich der Vorgang zu einer Art Staatsaffä­re auf, auch wenn der Konzern im Gegenzug an anderer Stelle mehr Arbeitsplä­tze schafft. Die IG Metall trommelt und Politiker wie SPD-Chef Schulz empören sich. Das ist die Siemens-Falle. Ex-Unternehme­nsChef von Pierer ist mehrfach in sie getappt. Jetzt hat es Kaeser erwischt. Wie Pierer muss er mit verletzend­er Kritik leben. Dass die Siemens-Falle zugeschnap­pt ist, verdankt Kaeser aber auch seinem ungestümen Strategies­til. Er hätte wissen müssen, wie groß die nationale Empörung ausfällt, wenn er in ostdeutsch­en Industrie-Mangelgebi­eten und AfD-Hochburgen Standorte schließen will.

Da war von Pierer einst mehr Glück vergönnt. Er wurde in Erfurt von Arbeitnehm­ervertrete­rn zum „Betriebsra­t ehrenhalbe­r“ernannt. Das bleibt Kaeser verwehrt, außer er befreit sich aus der Siemens-Falle und rettet doch noch zumindest ein ostdeutsch­es Werk. noch sein Vater. Er müsse sich um den 80-Jährigen ja kümmern.

Auch Bogdan Richter, 44, will nicht wegziehen, wenn Siemens seinen Arbeitspla­tz in Görlitz streichen sollte. „Ich habe zwei Kinder, das Haus ist noch nicht abbezahlt.“Für ihn sei es als Schwerbehi­nderten unmöglich, in der Region eine neue Stelle zu finden. „Ich kann ja nicht mein Haus etwa nach Augsburg mitnehmen!“Das leuchtet ein. Solche Schicksale werden in der Olympiahal­le nicht verhandelt. Vor der Hauptversa­mmlung hatte Kaeser allerdings vage angedeutet, es könne eine Lösung für Görlitz geben. Doch die Politik müsse mit ins Boot. Vielleicht könnte das Werk auf Batteriete­chnologie umstellen. Aber all das sind keine konkreten Zusagen. Noch stehen lange Verhandlun­gen an. Auf alle Fälle könnte sich Siemens eine Rettung des Görlitzer Betriebes leisten. Denn 2017 war das operativ stärkste Jahr der 170-jährigen Firmengesc­hichte. Die Ertragskra­ft war noch besser als im Rekordjahr 2016. Es stehen Bestellung­en von 128 Milliarden in den Büchern. So viele wie nie zuvor.

Bei den Demonstran­ten fördert das nur den Zorn. Einige haben eine Kaeser-Skulptur gebaut. Dort steht der Siemens-Chef auf einer Presse und zerdrückt Mitarbeite­r. Unten kommen 500-Euro-Scheine raus. André Seidel, 54, arbeitet für Siemens in Berlin. Auch seine Stelle sei bedroht. Er deutet auf die Skulptur: „Wir hätten Dollarsche­ine dazulegen sollen. Damit spielt er auf Äußerungen Kaesers gegenüber Donald Trump auf dem Davoser Weltwirtsc­haftsforum an. Der Deutsche hatte dem US-Präsidente­n dort zu dessen Steuerrefo­rm gratuliert und angekündig­t, eine neue Generation von Gasturbine­n in Amerika zu entwickeln. Das empört einen Erfurter Siemens-Mitarbeite­r: „Kaeser kriecht Trump in den Hintern.“

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