Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bayern braucht tausende Lehrer

Schule Die Prognose ist düster: Einer neuen Studie zufolge fehlen bis 2025 deutschlan­dweit 35 000 Grundschul­lehrkräfte. Pädagogen im Freistaat klagen jetzt schon

- VON SARAH RITSCHEL

Gütersloh/Augsburg Die Überschrif­t der neuen Bertelsman­n-Studie ist alarmieren­d: „Lehrkräfte dringend gesucht“. Die Bildungsfo­rscher befassen sich darin mit dem Lehrermang­el an Grundschul­en. Der soll sich demnach so verschärfe­n, dass bis zum Jahr 2025 in Deutschlan­d 35 000 Grundschul­lehrer fehlen, sofern die Politik nicht rechtzeiti­g gegensteue­rt.

60 000 Lehrer braucht es den Bildungsfo­rschern zufolge allein, um Beamte zu ersetzen, die sich aus dem Schuldiens­t zurückzieh­en. Steigende Schülerzah­len erfordern weitere 26000 Pädagogen. Außerdem sehen die Regierungs­programme von CDU/CSU und SPD vor, dass alle Eltern Anspruch auf einen Ganztagspl­atz für ihr Kind bekommen. Dafür veranschla­gen die Autoren weitere 19000 Lehrer. Allerdings schließen den Angaben zufol- ge im selben Zeitraum nur 70000 junge Grundschul­lehrer ihr Studium ab. So entsteht die Lücke von 35 000 Lehrern.

Für den Freistaat hat der Bayerische Lehrer- und Lehrerinne­nverband (BLLV) gestern Zahlen veröffentl­icht. Nach Berechnung­en des Verbands gehen bis 2030 rund 10 600 Grundschul­lehrkräfte in Pension. Gleichzeit­ig steige die Zahl der Schüler offizielle­n Statistike­n zufolge um zwölf Prozent. Um sie zu unterricht­en, sind noch einmal zusätzlich 3200 Lehrer nötig.

Für Ludwig Unger, Sprecher des bayerische­n Kultusmini­steriums, sind Hochrechnu­ngen über einen so langen Zeitraum „nicht nachvollzi­ehbar“. Man könne weder konkret sagen, wie viele Kinder bis 2030 geboren werden, noch, wie viele Lehrer bis dahin aus dem Schuldiens­t ausscheide­n. Derzeit sind ihm zufolge alle Stellen an Bayerns Grundschul­en besetzt. Jedes Jahr würden rund 1700 Lehrer neu eingestell­t. Doch die Geburtenza­hlen steigen, an den Schulen lernen jetzt auch zehntausen­de Kinder aus Zuwanderer­familien. Und an den Universitä­ten studieren zu wenige auf den Beruf des Grundschul­lehrers hin, der im Vergleich zu anderen Lehrämtern weniger gut bezahlt ist und lange mit schlechten Einstellun­gschancen verknüpft war. Deshalb ist die Unterricht­ssituation schon heute angespannt.

Jeder fertig ausgebilde­te Grundschul­lehrer bekam zuletzt direkt von der Uni weg eine Stelle. Absolvente­n anderer Schularten werden nachqualif­iziert. Teilzeitkr­äfte haben aufgestock­t, pensionier­te Lehrer kehrten an ihren Arbeitspla­tz zurück. Kurzzeitig war 2017 sogar ein Pensionier­ungsstopp für Lehrkräfte angedacht, die vorzeitig in Ruhestand gehen wollten.

Die BLLV-Vorsitzend­e Simone Fleischman­n bezweifelt, dass all das reicht. Oder besser: Sie ist überzeugt, dass es nicht reicht. „Die Maßnahmen des Ministeriu­ms funktionie­ren zwar kurzfristi­g“, sagt sie. Auf lange Sicht aber braucht es ihrer Meinung nach grundlegen­de Änderungen: mehr Aufstiegsm­öglichkeit­en und eine bessere Bezahlung für Grundschul­lehrer, ein flexiblere­s Studium, damit man leichter zwischen den Schularten wechseln kann – und das Bewusstsei­n, dass Kinder in zunehmend heterogene­n Klassen anders gefördert werden müssten als noch vor ein paar Jahrzehnte­n.

Ein Phänomen der heutigen Zeit ist, dass immer mehr Eltern ihre Kinder ganztags zur Schule schicken möchten. Neben Lehrern braucht es dafür Erzieher und Sozialpäda­gogen, die sich um die Betreuung über den Unterricht hinaus kümmern. Der Sprecher des Kultusmini­steriums ist „zuversicht­lich“, die nötigen Fachkräfte zu finden.

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