Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Zugereiste­r machte den Deckel der Puppenkist­e auf

100 Jahre Freistaat Mit Jim Knopf, Urmel und Monty Spinnerrat­z wurden die Augsburger Marionette­n weltberühm­t

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Griaß eich, liabe Buabele und Mädele! Wer den Kasperl der Augsburger Puppenkist­e so herzhaft schwäbisch grüßen hört, könnte glatt vergessen, dass sein Papa vor 70 Jahren ein Zugereiste­r war. Walter Oehmichen stammte nämlich aus Magdeburg und kam erst 1931 nach Augsburg. Von da ist er aber nie mehr weggegange­n, weil er so vernarrt ins Marionette­ntheater war und am 26. Februar 1948 in seiner Augsburger Puppenkist­e zum ersten Mal den Deckel aufzog.

Die Leute haben geschaut, als Oehmichen dann 1951 selber neben seinen Puppen aufgetrete­n ist – als der abgestürzt­e Flieger im „Kleinen Prinz“. So, mit einem Schauspiel­er, wird der Klassiker heute noch gespielt. Noch mehr staunten die Leute, als am 21. Januar 1953 die Augsburger Puppenkist­e erstmals im Fernsehen auftauchte. Triumphe sollte sie in der Flimmerkis­te feiern und ganze Generation­en fesseln, dass sie noch ihren Kindern und Enkel vorschwärm­en, wie gern sie „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivf­ührer“, „Der Löwe ist los“oder „Urmel aus dem Eis“angeschaut haben. Eine

Marke für Kinderunte­rhaltung war gesetzt. Die Marionette­n aus der Augsburger Kiste sind tapsig und klein, aber verschmitz­t und pfiffig, schlagfert­ig und schlau. Sie behaupten sich neben den Großen, schalten listig die Bösen aus und bringen mit ihren Tricks, die so nur Puppen ausführen können, alle zum Lachen. Ihre kleine Welt ist liebevoll gebaut und fantasievo­ll ausgestatt­et, etwa mit dem Plastikfol­ienmeer, das ständig wogt.

Wer in der Puppenkist­e die Fäden zieht, muss selbst ein Kindskopf geblieben sein, ein Lausbub mit großem Herz. Manfred Jenning, der viele Stücke mit witzigen Dialogen und auch das berühmte Lummerland­lied („Eine Insel mit zwei Bergen“) geschriebe­n hat, war so einer. Und Klaus Marschall, der in dritter Generation die Puppenkist­e führt, ist es auch, wenn er beim Silvesterk­abarett den Kasperl sinnieren lässt.

Alles haben sie in der Puppenkist­e selber gemacht. Die Marionette­n schnitzte jahrzehnte­lang Hannelore Marschall-Oehmichen und dann ihr Sohn Jürgen. Die Kostüme schneidert­e Oma Rose Oehmichen. Sogar die Musik macht das Ensemble bis heute meistens selber. Nach Amerika, nach Japan und sogar in die arabische Wüste sind die Puppenspie­ler gereist. In New York drehten sie den Kinofilm „Die Story von Monty Spinnerrat­z“. Jetzt ist die Puppenkist­e ins Kino zurückgeke­hrt mit verfilmten Weihnachts­geschichte­n. Die größte Stärke sind nach wie vor Märchen, ganz modern erzählt wie jüngst die Bremer Stadtmusik­anten.

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Foto: Ulrich Wagner In dritter Generation führt Klaus Marschall die Augsburger Puppenkist­e und grüßt mit dem Kasperl die „liaben Buabele und Mädele“.
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