Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Stadtplan fürs Übersetzen
Bestseller Elena Ferrantes Neapel-Vierteiler übertrug Karin Krieger ins Deutsche. Sie erzählt, welche Probleme zu bewältigen waren und welche Erfolgschancen sie dem Werk einst einräumte
Wie viele Seiten übersetzen Sie pro Tag und wie lange brauchen Sie für einen ganzen Band, um ihn ins Deutsche zu übertragen?
Karin Krieger: Wie viel Zeit für die Übersetzung eines Buches nötig ist, hängt stark von der Qualität des jeweiligen Textes ab, es lässt sich nicht verallgemeinern. Bei Elena Ferrantes Neapel-Tetralogie waren es zwischen vier und sieben Seiten pro Tag. Doch damit ist es ja nicht getan. Ich feile meine Übersetzungen wieder und wieder zurecht, probiere während des gesamten Arbeitsprozesses die verschiedensten Versionen aus und bin ständig auf der Jagd nach dem richtigen Wort. An jedem der vier Bände habe ich gut ein halbes Jahr gearbeitet. Aber Zahlen sind literarisch uninteressant.
Haben Sie Neapel und die Schauplätze besucht?
Krieger: Ja, ich war in Neapel, um in die sonderbare, einzigartige Atmosphäre dieser Stadt einzutauchen, wo, um es mit Goethe zu sagen, „unterm reinsten Himmel der unsicherste Boden“zu finden ist. Ich habe den Dialekt und den scharfen Kontrast von Licht und Schatten aufgesogen. Zwar habe ich mir auch einige Schauplätze des Romans angesehen, halte es aber eher mit Ferrante, die der Ansicht ist, Orte der Fantasie besuche man besser in den Büchern, sonst sei man schnell enttäuscht. Mit viel Gewinn habe ich auch Curzio Malapartes beeindruckendes, verstörendes Buch „Die Haut“noch einmal gelesen. „Neapel ist keine Stadt, Neapel ist eine Welt“, heißt es darin. Wie wahr. Um das Aussehen Neapels in den 50er Jahren und den damaligen Lebensalltag zu studieren, habe ich mir italienische Filme aus dieser Zeit angesehen. (...) Und die ganze Zeit über hing während meiner Arbeit an „Geniale Freundin“ein großer Stadtplan von Neapel in meinem Arbeitszimmer.
Was ist die Herausforderung an der Übersetzung von Elena Ferrante? Sie schreibt ja viel im Dialekt, lässt sich das überhaupt ins Deutsche transportieren?
Krieger: Nein, Ferrante schreibt nicht im Dialekt, obwohl er häufig thematisiert wird. Sie verwendet nur hin und wieder ein paar neapolitanische Schimpfwörter. Ein Dialekt lebt von seiner Mündlichkeit. Ferrante hält Versuche, ihn zu verschriftlichen, nach eigener Aussage oft für linkisch oder gar zum Schei- tern verurteilt. Um nicht in diese Falle zu tappen, schreibt sie oft: „…sagte sie im Dialekt“– ohne ihn jedoch auszuformulieren. Für mich als Übersetzerin war das ein Glück. Denn ein Dialekt ist untrennbar mit dem Ort verbunden, an dem er gesprochen wird. Man kann ihn nicht einfach durch einen anderen ersetzen. Bayerisch oder Plattdeutsch statt Neapolitanisch? Undenkbar! Das Neapolitanische ist für Ferrante zudem vorrangig mit Brutalität, mit Gewalt verbunden. Sie verwendet die italienische Sprache wie eine Art Schutzwall gegen den schlammigen, ungestümen Strom dieses Dialekts, den sie wie eine ferne Bedrohung nur anklingen lassen will.
Auf welchem Weg und wie oft kommunizieren Sie während Ihrer Arbeit mit Elena Ferrante?
Krieger: Ich stehe schriftlich mit ihr in Kontakt. Dabei geht es oft um die verschiedenen Nuancen, die ein Wort haben kann, um Assoziationen, die ausgelöst oder vermieden werden sollen. Da ich die Autorin nicht unnötig stören möchte, sammle ich meine Fragen in ein oder zwei E-Mails pro Buch, die ich ihr gegen Abschluss einer Übersetzung schicke. Mit jedem Band wurden es weniger.
Haben Sie damit gerechnet, dass die Bücher ein solcher Erfolg werden, als Sie anfingen, sie zu übersetzen? Krieger: Da ich es schon oft erlebt habe, dass wunderbare Bücher auf dem Markt untergegangen sind zwischen viel Blödsinn und Mittelmaß, bin ich bei Erfolgsprognosen stets skeptisch. Ich konnte mir sofort vorstellen, dass die Tetralogie begeisterte Leser finden würde. Dass es so viele sein würden, war für mich nicht absehbar.
Interview: Alexandra Stahl, dpa