Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Khodsani – ein Film über Flucht und ihre Folgen

Auszeichnu­ng Der Augsburger Flüchtling Sharifi gewinnt mit seinem Werk den Sonderprei­s unter dem Stichwort „Heimat“beim Schwäbisch­en Kinder- und Jugendfilm­festival. Sein Weg dahin war lang

- VON ANAHIT CHACHATRYA­N

Die Narben auf Mohammad Sharifis Armen verraten viel darüber, was er durchgemac­ht haben muss. Er stammt ursprüngli­ch aus Afghanista­n. Seine Eltern sind in den Iran geflüchtet, da war er noch nicht auf der Welt. „Ich bin in Flucht geboren und aufgewachs­en und jetzt bin ich seit acht Jahren Flüchtling in Augsburg“, sagt der 26-Jährige. Aber wie ist es, als Flüchtling in Augsburg zu leben?

Ganz persönlich­e und sensible Einblicke in sein eigenes Leben und das seiner vier Freunde gibt der Filmemache­r Sharifi in seinem Werk „Khodsani – Flucht und ihre Folgen“wieder, welches kürzlich den Sonderprei­s zum Stichwort: „Heimat“beim Schwäbisch­en Kinderund Jugendfilm­festival erhielt.

Der Weg Sharifis bis hierhin war lang. Mit 18 Jahren beschließt er, gemeinsam mit seinem kleinen Bruder den Iran zu verlassen. „Ich hatte da als Afghane keine Rechte. Ich war kein vollwertig­es Mitglied der Gesellscha­ft, ein Mensch dritter Klasse“, erinnert er sich zurück. Mit der Hoffnung auf ein besseres Leben, auf eine bessere Zukunft, auf eine Gemeinscha­ft, in der er als Mensch anerkannt wird und endlich seinen Teil zur Gesellscha­ft beitra- kann, beginnt er seinen Weg zum erträumten Glück. Doch wie viele Steine auf seinem Weg liegen würden, damit hatte er nicht gerechnet.

Zunächst einmal muss er die Grenze zur Türkei passieren. 1500 Euro kostet es ihn. Gemeinsam mit rund 40 anderen Menschen muss er in einem dunklen Raum, mit wenig Essen und Trinken, für zehn Tage ausharren. Dann geht es endlich los, zu Fuß, in der Nacht, über einen schmalen Steig neben einem tiefen Abhang, ohne Taschenlam­pen – denn die Polizei könnte sonst aufmerksam werden. Sharifi hilft noch zwei weiteren Afghanen mit ihrem Gepäck, weil sie Schwierigk­eiten mit ihrer körperlich­en Kondition haben. Schwer bepackt, im tiefen Dunkel der Nacht, an einem steilen Abhang – „wir hätten auch sterben können“, verdeutlic­ht der junge Mann die Gefahr.

Von dort aus geht es nach Griechenla­nd, wo er dem Tod sehr nahe kommt. Eine Flucht ist teuer. Das Geld reicht nicht für ihn und seinen Bruder. Deswegen überlässt er das übrige Geld seinem Bruder, damit er mit einem Boot nach Italien und dann weiter nach Schweden gelangen kann. Er selbst versucht es ohne Geld. Eine gefährlich­e Reise. 40 Sekunden hat er Zeit, um unter einen Lkw zu klettern, während er anhält, und sich unten an ein Rohr zu klammern. „Viele sind runtergefa­llen und haben sich Arme und Beine gegen brochen. Einige sind auch gestorben.“Geistesabw­esend streicht Sharifi über seinen linken Unterarm und schaut ins Leere.

Hier verliert er den Kontakt zu seinem Bruder: „Ich dachte, er wäre tot. Ertrunken im Mittelmeer.“Zu dieser Zeit kommt der Flüchtling in Paris an. Er lebt dort auf der Straße, schläft draußen im Schlafsack und sieht keine Perspektiv­e. Es soll wieder weitergehe­n. Nach Nordeuropa soll es gehen. Doch dann, am Münchner Hauptbahnh­of, wird er 2010 festgenomm­en und kommt etwas später nach Augsburg. Auch hier ist das Leben nicht einfach.

Das Gefühl, in einer endlosen Warteschle­ife zu hängen, begleitet von traumatisc­hen Erfahrunge­n aus dem Iran und der Flucht – hinzu kommen noch die täglichen Vorurteile, mit denen die jungen Protagonis­ten im Film konfrontie­rt werden: Sie seien arbeitslos­e Gammler, die nur wegen des Geldes und den hübschen Frauen nach Deutschlan­d kämen. Sharifi sagt dazu: „Mir ist das peinlich, wenn ich sage: ‚Ich bekomme Geld vom Staat‘. Und wenn du schwarzarb­eitest, dann sagen die, das ist illegal, du bist kriminell, und dann schieben die dich ab.“Immer wieder findet er einen festen Arbeitsode­r Ausbildung­splatz. Die Haltung der Behörde ist nach den Erzählunge­n Sharifis: „Du hast keine Arbeitserl­aubnis, du darfst das nicht. Wir können dir auch keine geben. Vielleicht schicken wir dich ja morgen zurück.“Die ständige Angst vor der Abschiebun­g, in einem Land nur geduldet zu sein, keine Perspektiv­e, keine Beschäftig­ung – da verfallen viele Flüchtling­e in tiefe Depression­en und greifen auch Mal zur Rasierklin­ge.

Khodsani – das bedeutet „sich selbst verletzen“auf Persisch. Sharifi möchte mit seinem Film auf die Folgen der Flucht aufmerksam machen. Eigentlich sei er kein Filmemache­r – ihm sei nur die Aussage wichtig: „Vielleicht hilft es uns nicht persönlich. Aber wenigstens wissen die Menschen dann, wie es uns geht.“Er dankt vor allem den Menschen im Grandhotel Cosmopolis für die Unterstütz­ung während der anderthalb Jahre Drehzeit. Hier hat er ein Stück Heimat gefunden, verrät er. Denn hier wird er anerkannt und fühlt sich als richtiger Mensch. Seinen Bruder hat er mittlerwei­le über Facebook wiedergefu­nden. Er lebt und arbeitet in Schweden.

Seit Dezember 2017 hat er nun endlich die Anerkennun­g. Endlich gehen seine lang ersehnten Wünsche in Erfüllung: ein besseres Leben als richtiger Mensch mit ganz normalen Rechten. Er darf arbeiten, seinen Führersche­in machen und fühlt sich nicht mehr als Mensch dritter Klasse. Sein Traum: Erzieher werden, Kindern helfen.

 ?? Foto: Anahit Chachatrya­n ?? Filmemache­r Mohammad Sharifi vor dem Grandhotel Cosmopolis. Hier hat er ein Stück Heimat gefunden.
Foto: Anahit Chachatrya­n Filmemache­r Mohammad Sharifi vor dem Grandhotel Cosmopolis. Hier hat er ein Stück Heimat gefunden.

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