Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Krach im Brecht Kreis
Experte Hillesheim tritt aus Protest aus
einen gesunden Ausgleich finden, damit man als Ich nicht verschwindet in einem kollektiven Wust von Ansprüchen.
Im Mittelpunkt steht das Textfragment „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“, das in einer Inszenierung des Theaters Augsburg zu sehen ist. Welche Qualität hat dieses Stück für Sie? Wengenroth: Ich bin ein Freund dieser anfangs eher anstrengend und spröde wirkenden Stücken Brechts. Im „Fatzer“-Text liegt eine große poetische Kraft, wie in vielen anderen seines Frühwerkes. Die lyrische Begabung Brechts ist hier sehr schön zu sehen, weil er sich noch um keine Regeln und Theorien geschert hat. Es ist die Zeit seines politischen und künstlerischen Aufbruchs, da brannte er sozusagen von allen Seiten lichterloh, und das merkt man diesem Text an. Interessant ist es, „Der gute Mensch von Sezuan“, das aus einer späteren Phase stammt und ein sehr gut gebautes Lehrstück ist, dem gegenüber zu stellen. Die Frage nach der Solidarität und dem Revolutionären schlummert in beiden Stücken.
Es fällt auf, dass das Festival in diesem Jahr wieder etwas literarischer geworden ist. Wengenroth: Genau. Wir knüpfen damit an das abc-Festival von Albert Ostermaier an, das ja der Ursprung des Brechtfestivals war. Da ist zum einen das literarische Podium „Das Abc der Solidarität“mit den drei Autoren Kathrin Röggla, Stefanie Sargnagel und Bazon Brock, die ausgehend von Brechts „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“einen Text geschrieben haben, den sie vorlesen und diskutieren. Mal sehen, welch lustvolle, streitbare und vielleicht solidarische Lösungen es geben wird. Außerdem konnten wir Sasha Marianna Salzmann, die im letzten Jahr mit ihrem Roman „Außer sich“auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, gewinnen. Aber auch mit „Fatzer“und „Dickicht“, einem Gastspiel des Maxim Gorki Theaters, sehen wir, wie avantgardistisch eigentlich die Literatur Brechts ist.
Sie setzen in diesem Jahr mit Einführungen und Diskussionen zu den Veranstaltungen sehr stark auf die Vermittlung. Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass dies nötig ist? Wengenroth: Wir haben zum vergangenen Festival die Rückmeldung bekommen, dass sich die Zuschauer gewünscht hätten, dass man sie mehr auf Veranstaltungen hinweist und erklärt, warum bestimmte Stücke und Stoffe sehenswert sind. Deshalb machen wir jetzt auch im Vorhinein Angebote, etwa in unserem Facebook-Auftritt, wo wir mit den Vorstellungstrailern der Gast-Bühnen verlinken oder auch mit zum Thema interessanten Artikeln. Es geht uns also darum, die Leute mit Inhalten zu konfrontieren, die ihnen helfen, die Veranstaltungen einzuordnen. Aus dem Brecht-Kreis kam außerdem der Wunsch, auch Einführungen und anschließende Gesprächsrunden mit den Beteiligten anzubieten.
Auf welche Veranstaltung würden Sie denn dieses Jahr gern besonders hinweisen?
Wengenroth: Das ist „Winterreise“mit dem Exil Ensemble des MaximGorki-Theaters. Das besteht aus professionellen Schauspielern aus Afghanistan, Syrien und Palästina, Menschen, die ihre Heimat verlassen haben und die in einer Art Roadmovie durch das winterliche Deutschland ihren Blick auf die neue Heimat zeigen. Das hängt eng zusammen mit der Exil-Vergangenheit Brechts und seinem lyrischen Werk, das spielt natürlich auch auf Heine und Schubert an. Es ist ein poetischer, durch eine Video-Ebene optisch beeindruckender Abend. Obwohl es um eine alles andere als lustige Fragestellung geht, hat es viel Humor und ist alles andere als larmoyant.
Interview: Birgit Müller-Bardorff
● Patrick Wengenroth, 41, lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Berlin. Er arbeitet als freier Regisseur und Schauspieler unter anderem an der Schaubühne Berlin. Damit hatte der Vorstand des BertBrecht-Kreises wohl nicht gerechnet, als er eine Resolution gegen die Abschiebung von Afghanen unterstützen wollte. Aus Protest gegen die „Politisierung“der Vereinigung trat ausgerechnet der offizielle Sachwalter Brechts in Augsburg, der Leiter der Brecht-Forschungsstelle Prof. Jürgen Hillesheim, mit sofortiger Wirkung aus. „Ich lasse mich nicht auf Linie bringen“, empörte sich Hillesheim im Gespräch mit unserer Zeitung. Er protestiere „völlig unabhängig davon, um welche Inhalte und Tendenzen es dabei geht“.
Michael Friedrichs, der Vorsitzende des Brecht-Kreises, wollte die Entscheidung auf Nachfrage nicht kommentieren. In der vorgelegten Resolution sieht er einen humanitären Appell. Sie werde schon von vielen Vereinigungen in Augsburg, darunter auch kirchliche Verbände, unterstützt. Weil sich in der Mitgliederversammlung am Montagabend aber weitere kritische Stimmen erhoben, habe er die Resolution doch nicht zur Abstimmung gestellt. Der vierköpfige Vorstand mit Friedrichs, Pia Haertinger, Christian Gerlinger und Brigitte Schneider indes habe sich entschlossen, die Resolution zu unterzeichnen.
Der Bert-Brecht-Kreis bereitet zurzeit ein literarisch-musikalisches Programm zum 120. Geburtstag Brechts am 10. Februar vor. Es wird in der Barfüßerkirche stattfinden, wo B.B. getauft und konfirmiert worden ist. Kulturreferent Thomas Weitzel habe ihn darum gebeten, da das Augsburger Brecht-Festival dieses Jahr erst am 23. Februar starten wird. Im Brechthaus wird die Regio Tourismus Akzente setzen.