Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Irmgard Keun ist wieder da
Literatur Die Schriftstellerin schien vergessen, nun werden ihre Bücher neu aufgelegt. Das ist mehr als eine Entdeckung
Es ist mehr als nur eine Wiederentdeckung, es ist der Versuch einer Wiedergutmachung an einer der bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Jahrzehntelang war von Irmgard Keun (1905–1982) nicht mehr die Rede. Allenfalls wurde sie als eine Protagonistin des frühen Feminismus der Weimarer Republik wahrgenommen. Anfang der 80er Jahre wurden einige Romane von Irmgard Keun neu aufgelegt. Aber erst jetzt liegt ihr komplettes Werk in drei Bänden vor mit einem einfühlsamen Vorwort von Ursula Krechel.
1931 war ihr erster Roman erschienen, „Gilgi, eine von uns“. Ein Buch, das die 26-jährige Autorin auf einen Schlag berühmt machte, zu einem Shootingstar der Literaturszene. Fast alle ihre Romane, vor allem die in den 30er Jahren entstandenen, befassen sich mit der Lebenssituation von Frauen und ihrem Kampf um Selbstständigkeit. Es geht dabei nicht um ein abstraktes Emanzipationsprogramm. Im „Gilgi“-Roman etwa rutscht die Heldin ins Arbeitslosenelend. Aber sie weiß sich zu behaupten, glaubt das zumindest, eig- net sich Fremdsprachenkenntnisse an, versucht, durch eine besonders positive Ausstrahlung bei den Herren der Schöpfung zu punkten. Ganz im Gegensatz zu ihrer Freundin Olga, zu der sie sagt: „… es ist doch schön, sein Leben wie eine sauber gelöste Rechenaufgabe vor sich zu haben.“Aber die Rechnung geht nicht auf, das Ende ist offen.
In „Das kunstseidene Mädchen“(1932) führen die Liebe und das Verhältnis zu den Männern die IchErzählerin Doris in eine illusionäre Welt von Trugbildern. Sie will kein Tagebuch führen, sondern „schreiben wie Film, denn so ist mein Leben und wird noch mehr so sein… Und wenn ich später lese, ist alles wie Kino – ich sehe mich in Bildern.“Beide Romane waren ein Ereignis. Alfred Döblin, Klaus Mann und andere waren begeistert von dieser Debütantin. Kurt Tucholsky vermerkte: „Eine schreibende Frau mit Humor, sieh mal an! Hurra! Hier ist ein Talent. Wenn die noch arbeitet, reist, eine große Liebe hinter sich und eine mittlere bei sich hat: Aus dieser Frau kann einmal was werden.“
Doch es kam anders. Die Nazis ächteten die junge Schriftstellerin, sie ins Exil, beschlagnahmten ihre Bücher als „entartete Literatur“. Vom Leben in Hitlers Deutschland erzählt ihr Roman „Nach Mitternacht“, dessen Handlung an zwei Tagen 1936 in Frankfurt spielt. Sanna, die Erzählerin, beobachtet am Opernplatz Hitlers Ankunft: „Und langsam fuhr ein Auto vorbei, darin stand der Führer wie der Prinz Karneval im Karnevalszug.“
Im belgischen und holländischen Exil fand Irmgard Keun in Joseph Roth ihre „große Liebe“. Roth nannte sie wegen ihrer Zartheit sein „scheenes Kaninchen“. Roth, bekannte sie später, „war ja auch der einzige Mann, der mich je gefesselt hat, so daß manches Wort von ihm in meiner Seele Wurzeln schlug. Er machte einen so starken Eindruck auf mich, daß ich es nicht nötig fand, seine Bücher zu lesen.“Ihre Jugend hatte die ursprünglich aus Berlin stammende Kaufmannstochter in Köln verbracht, wo sie nach Roths Tod die Kriegsjahre unter falschem Namen in ständiger Angst vor Entdeckung übersteht. Im Oktober 1946 schreibt sie an Hermann Kesten: „Die Menschen in Deutschland sind genau wie sie immer waren. Sie tragen keine Hakenkreuze mehr am Anzug, aber sonst hat sich nichts mit ihnen geändert. An Köln ist das beste, dass es kaputt ist. So was darf ich aber noch nicht einmal den paar Leute sagen, die keine Nazis sind und auch keine waren.“
Es hat ihr nicht an Selbstbewusstsein gefehlt, auch nicht an Humor. Das Melodramatische war ihr absolut fremd. Trotz, Empörung und auch Hass – das waren die Antriebsvertrieben kräfte für ihre Kreativität. In dem Nachkriegstext „Wenn wir alle gut wären“von 1954 heißt es: „Ich zögerte auch noch, meinen Haß, den ich für meine Arbeit brauchte, wieder wach werden zu lassen - diesen Haß gegen das dumpfe und hoffnungslose Böse, gegen die häßliche Unlust am klaren Gedanken - diesen Haß, den ich nie loswerden kann und will.“Eines der Fotos aus der Nachkriegszeit zeigt sie in ihrer Kölner Wohnung, umgeben von allerlei Nippes. Sie sieht nicht glücklich aus, eher allein, verlassen, unbehaust. Mit der Frauenbewegung der 70er Jahre hat sie nichts im Sinn. In ihrem „Selbstporträt einer Frau mit schlechten Eigenschaften“bemerkt sie unumwunden: „Trotz der moralischen Verpflichtung, die der Frauenüberschuß einem jeden (oder jeder?) von uns auferlegt, habe ich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – Männer lieber als Frauen. Meine Gründe dafür sind mannigfaltig. Ich selbst möchte kein Mann sein. Der Gedanke, dann eine Frau heiraten zu müssen, schreckt mich.“
» Irmgard Keun: Das Werk Herausgege ben von Heinrich Detering und Beate Ken nedy. 3 Bde, Wallstein, 2044 S., 39 ¤