Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Brauchen auch wir ein Ministerium für Einsamkeit?
Das Internationale Rote Kreuz spricht von einer „Epidemie im Verborgenen“. Denn die Zahl der Menschen, die sich alleine (gelassen) fühlen, steige ständig weiter. Alarm also. Und die britische Antwort, die nun auch bei uns diskutiert wird: ein dafür zuständiges Ministerium. Das Prinzip dahinter: Wer ein Problem politisch benennt und dann einen Zuständigen dafür ernennt samt reichlich sachbearbeitenden Beamten – der handelt verantwortlich im Sinne der Gesellschaft. Aber ist das wirklich so?
Angegliedert jedenfalls, so der SPDler Lauterbach, könnte der neue Bereich bei uns dem Gesundheitsministerium werden, weil Einsamkeit das Erkrankungsrisiko erhöhe. Wie wäre es dann noch mit einer Vernetzungsstelle im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das doch offenbar für alle Menschen außer Männer zuständig ist? Und einer Behörde im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das koordinieren helfen könnte? Ein großer Apparat, der einsamen Menschen mit einem ganzen Maßnahmenkatalog helfen soll. Bloß wie? Durch Meldestellen und Betreuungsangebote, Wohnprojekte und Finanzierungsbeihilfen? Durch die forcierte Institutionalisierung dessen, was es ohnehin schon gibt und was traditionell Familie und Nachbarschaft, die sogenannte Zivilgesellschaft selbst geregelt hat? Müsste man da nicht auch nachdenken über ein Ministerium für Traurigkeit und eines für Erschöpfung?
Soll heißen: Wer so denkt, klebt nur wichtigtuerisch Pflästerchen auf Symptome. Die werden aber nie kitten, was der Wandel zur individualisierten Leistungsgesellschaft bewirkt. Verantwortung würde hier nur für neue Steuertöpfe übernommen. Also: Einsamkeit ist kein politisches Problem – die Zersetzung der Zivilgesellschaft ist eines. Das eigentliche.