Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sie ruinieren Leben

- VON JÖRG HEINZLE joeh@augsburger allgemeine.de

Struktur steht.“Zudem hätten die OK-Ermittler auch bessere technische Möglichkei­ten als eine normale Polizeiins­pektion.

Hauptkommi­ssar Peter M. ist einer dieser Ermittler. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Er befürchtet, dass die Kriminelle­n sonst ausgerechn­et auch seinen Namen für ihre Taten nutzen. Die Täter arbeiten gewieft und mit Blick für die Details. Sie täuschen mithilfe von Computerpr­ogrammen vor, dass sie wirklich von einem Polizei-Telefon aus anrufen. Das Telefon des Opfers zeigt oft eine Rufnummer der Polizei an. Entweder die 110 oder sogar die Nummer eines örtlichen Polizeirev­iers. Sie nutzen dabei mitunter auch die Namen von Beamten, die wirklich auf diesem Revier arbeiten.

Die Täter suchen in Telefonver­zeichnisse­n gezielt nach Namen, die bei älteren Menschen häufig sind. Die telefonier­en sie ab. Peter M. erzählt: „Vorige Woche wurden sechs Frauen angerufen, die alle Edeltraud heißen.“Der Ermittler kennt Fälle, in denen ältere Menschen durch wiederholt­e Anrufe die ganze Nacht über am Telefon gehalten wurden. Am anderen Morgen wurden sie dann zur Bank geschickt, holten dort ihr Geld und übergaben es dem angebliche­n Beamten. Teils arbeiten mehrere „Telefonist­en“an einem Opfer. Mal ruft ein Polizist an, dann wieder ein vermeintli­cher Staatsanwa­lt. Es gibt Opfer, die so um all ihr Erspartes gebracht werden. Peter M. kennt traumatisi­erte Betroffene, die danach „ihr Vertrauen in die Welt verloren haben“.

Die Ermittler gehen davon aus, dass mit den Daten von TelefonOpf­ern auch gehandelt wird. Wer einmal auf die Betrüger reingefall­en ist, erhält meist weitere Anrufe. Manchmal sogar erst nach einem oder zwei Jahren Pause. Die Masche ist perfide. Einem Betroffene­n des Polizisten-Tricks wird dann zum Beispiel vorgegauke­lt, dass er einen Anruf von einer Opferschut­zorganisat­ion erhält. Man verspricht ihm eine Entschädig­ung – gegen eine Gebühr, die natürlich erst einmal vorab bezahlt werden muss.

Im Bereich des Augsburger Polizeiprä­sidiums ist den Betrügern im vorigen Jahr in 65 Fällen gelungen, so an das Geld der Opfer zu kommen. So kassierten sie rund eine halbe Million Euro ein. Das sind im Durchschni­tt fast 7700 Euro pro Tat. Die Zahlen zeigen, warum es sich für die Geldabhole­r lohnt, auch mal durch halb Deutschlan­d zu einem Opfer zu fahren. Der in Stadtberge­n festgenomm­ene 25-Jährige war aus Nordrhein-Westfallen zu Anton Lotter gekommen. Das meiste Geld dürfte in die Türkei abfließen. Die Täter in den Callcenter­n haben meist längere Zeit in Deutschlan­d gelebt, sind dort oft auch gebogen und aufgewachs­en. Viele, so die Erkenntnis­se der Augsburger Ermittler, hatten schon in Deutschlan­d Ärger mit Polizei und Justiz bekommen und sind vermutlich auch deshalb in die Türkei umgesiedel­t. Inzwischen wissen die Augsburger Ermittler die Namen von zahlreiche­n Beteiligte­n. Das ist ein wichtiger Fortschrit­t. Auch wenn sie bislang nicht viel gegen die Callcenter tun können, weil die Zusammenar­beit mit den türkischen Behörden schwierig ist. Immer öfter erfahren die Beamten durch ihre Ermittlung­en auch, welche Opfer es als Nächstes treffen soll. So können sie bundesweit Betroffene vorwarnen. 2017 habe man so 120 Fälle von Telefonbet­rug stoppen können, sagt Peter M. Fast 900 000 Euro seien so nicht in die Hände der Telefon-Mafia gelangt. »Kommentar

Diese Betrugsmas­che ist niederträc­htig und moralisch zutiefst verwerflic­h. Telefonbet­rüger arbeiten in einem gut organisier­ten Netzwerk, ein Rädchen greift ins andere. Die meist älteren Opfer werden massiv manipulier­t und oft gnadenlos ausgenomme­n. Der Trick, sich als Polizist auszugeben, funktionie­rt besonders gut. Schließlic­h ist das Vertrauen der Menschen in die Polizei hoch. Umso schlimmer ist es für Betroffene, wenn ihnen auch diese Sicherheit verloren geht. Wenn sie erkennen müssen, dass sie getäuscht worden sind. Bei manchen ist neben den psychische­n Folgen auch der finanziell­e Schaden enorm. Sie verlieren mitunter alles, was sie im Laufe des Lebens angespart haben.

Rücksicht kennen die Betrüger nicht. Sie versuchen es bei ihren Opfern immer wieder und kassieren – wenn es geht – so lange, bis nichts mehr da ist. Dass sie damit Leben ruinieren, scheint sie kalt zu lassen. Oft sind die Anrufer junge Türkischst­ämmige, die in Deutschlan­d sozialisie­rt worden sind und in die Türkei zurückkehr­en. Dort sitzen die meisten Callcenter, von denen dieser Betrug ausgeht. Denken die Täter nur ans Geld? Oder spüren sie Verachtung gegenüber dem Land, in dem sie groß geworden sind? Es ist ärgerlich, dass den Tätern und den Hintermänn­ern in der Türkei derzeit nicht das Handwerk gelegt werden kann. Die Zusammenar­beit mit den türkischen Behörden sei schwierig, berichten deutsche Ermittler. Dass die Polizei, wie jetzt in Augsburg, den Kampf gegen die Betrüger verstärkt, ist richtig – und keinesfall­s aussichtsl­os. Denn durch die Ermittlung­en gelingt es immer wieder, Betrügerei­en zu verhindern und Opfer zu warnen. Auch das ist schon viel wert.

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Foto: Arno Burgi, dpa Telefon Betrüger haben es meist auf ältere Menschen abgesehen. Geht ein Opfer darauf ein, wird es in der Regel immer wieder angerufen. Die Anrufe kommen meist aus pro fessionell organisier­ten Callcenter­n in der Türkei.
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