Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Sie ruinieren Leben
Struktur steht.“Zudem hätten die OK-Ermittler auch bessere technische Möglichkeiten als eine normale Polizeiinspektion.
Hauptkommissar Peter M. ist einer dieser Ermittler. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Er befürchtet, dass die Kriminellen sonst ausgerechnet auch seinen Namen für ihre Taten nutzen. Die Täter arbeiten gewieft und mit Blick für die Details. Sie täuschen mithilfe von Computerprogrammen vor, dass sie wirklich von einem Polizei-Telefon aus anrufen. Das Telefon des Opfers zeigt oft eine Rufnummer der Polizei an. Entweder die 110 oder sogar die Nummer eines örtlichen Polizeireviers. Sie nutzen dabei mitunter auch die Namen von Beamten, die wirklich auf diesem Revier arbeiten.
Die Täter suchen in Telefonverzeichnissen gezielt nach Namen, die bei älteren Menschen häufig sind. Die telefonieren sie ab. Peter M. erzählt: „Vorige Woche wurden sechs Frauen angerufen, die alle Edeltraud heißen.“Der Ermittler kennt Fälle, in denen ältere Menschen durch wiederholte Anrufe die ganze Nacht über am Telefon gehalten wurden. Am anderen Morgen wurden sie dann zur Bank geschickt, holten dort ihr Geld und übergaben es dem angeblichen Beamten. Teils arbeiten mehrere „Telefonisten“an einem Opfer. Mal ruft ein Polizist an, dann wieder ein vermeintlicher Staatsanwalt. Es gibt Opfer, die so um all ihr Erspartes gebracht werden. Peter M. kennt traumatisierte Betroffene, die danach „ihr Vertrauen in die Welt verloren haben“.
Die Ermittler gehen davon aus, dass mit den Daten von TelefonOpfern auch gehandelt wird. Wer einmal auf die Betrüger reingefallen ist, erhält meist weitere Anrufe. Manchmal sogar erst nach einem oder zwei Jahren Pause. Die Masche ist perfide. Einem Betroffenen des Polizisten-Tricks wird dann zum Beispiel vorgegaukelt, dass er einen Anruf von einer Opferschutzorganisation erhält. Man verspricht ihm eine Entschädigung – gegen eine Gebühr, die natürlich erst einmal vorab bezahlt werden muss.
Im Bereich des Augsburger Polizeipräsidiums ist den Betrügern im vorigen Jahr in 65 Fällen gelungen, so an das Geld der Opfer zu kommen. So kassierten sie rund eine halbe Million Euro ein. Das sind im Durchschnitt fast 7700 Euro pro Tat. Die Zahlen zeigen, warum es sich für die Geldabholer lohnt, auch mal durch halb Deutschland zu einem Opfer zu fahren. Der in Stadtbergen festgenommene 25-Jährige war aus Nordrhein-Westfallen zu Anton Lotter gekommen. Das meiste Geld dürfte in die Türkei abfließen. Die Täter in den Callcentern haben meist längere Zeit in Deutschland gelebt, sind dort oft auch gebogen und aufgewachsen. Viele, so die Erkenntnisse der Augsburger Ermittler, hatten schon in Deutschland Ärger mit Polizei und Justiz bekommen und sind vermutlich auch deshalb in die Türkei umgesiedelt. Inzwischen wissen die Augsburger Ermittler die Namen von zahlreichen Beteiligten. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Auch wenn sie bislang nicht viel gegen die Callcenter tun können, weil die Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden schwierig ist. Immer öfter erfahren die Beamten durch ihre Ermittlungen auch, welche Opfer es als Nächstes treffen soll. So können sie bundesweit Betroffene vorwarnen. 2017 habe man so 120 Fälle von Telefonbetrug stoppen können, sagt Peter M. Fast 900 000 Euro seien so nicht in die Hände der Telefon-Mafia gelangt. »Kommentar
Diese Betrugsmasche ist niederträchtig und moralisch zutiefst verwerflich. Telefonbetrüger arbeiten in einem gut organisierten Netzwerk, ein Rädchen greift ins andere. Die meist älteren Opfer werden massiv manipuliert und oft gnadenlos ausgenommen. Der Trick, sich als Polizist auszugeben, funktioniert besonders gut. Schließlich ist das Vertrauen der Menschen in die Polizei hoch. Umso schlimmer ist es für Betroffene, wenn ihnen auch diese Sicherheit verloren geht. Wenn sie erkennen müssen, dass sie getäuscht worden sind. Bei manchen ist neben den psychischen Folgen auch der finanzielle Schaden enorm. Sie verlieren mitunter alles, was sie im Laufe des Lebens angespart haben.
Rücksicht kennen die Betrüger nicht. Sie versuchen es bei ihren Opfern immer wieder und kassieren – wenn es geht – so lange, bis nichts mehr da ist. Dass sie damit Leben ruinieren, scheint sie kalt zu lassen. Oft sind die Anrufer junge Türkischstämmige, die in Deutschland sozialisiert worden sind und in die Türkei zurückkehren. Dort sitzen die meisten Callcenter, von denen dieser Betrug ausgeht. Denken die Täter nur ans Geld? Oder spüren sie Verachtung gegenüber dem Land, in dem sie groß geworden sind? Es ist ärgerlich, dass den Tätern und den Hintermännern in der Türkei derzeit nicht das Handwerk gelegt werden kann. Die Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden sei schwierig, berichten deutsche Ermittler. Dass die Polizei, wie jetzt in Augsburg, den Kampf gegen die Betrüger verstärkt, ist richtig – und keinesfalls aussichtslos. Denn durch die Ermittlungen gelingt es immer wieder, Betrügereien zu verhindern und Opfer zu warnen. Auch das ist schon viel wert.