Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Mann ohne Hausmacht

Porträt Olaf Scholz und die SPD: Das ist eine in jeder Hinsicht komplizier­te Beziehung. Trotzdem soll er Finanzmini­ster in Berlin werden. Auch privat macht das vieles leichter

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Auf die Frage, wie lange er noch in Hamburg regieren wolle, hatte Olaf Scholz bisher stets eine eingängige Antwort parat. Erst waren es die Olympische­n Spiele, die er im Sommer 2024 unbedingt als Bürgermeis­ter eröffnen wollte – bis ihm seine Stadt mit einem Volksentsc­heid gegen Olympia einen Strich durch die Rechnung machte. Dann war es der Hamburger SV, den er gerne noch als deutschen Fußballmei­ster im Rathaus begrüßt hätte – der aber ist um einiges tiefer gefallen als die SPD. Seine Chancen auf den Titel stehen noch schlechter als die der Sozialdemo­kraten aufs Kanzleramt.

So gesehen kann Scholz also ruhigen Gewissens als Finanzmini­ster und Vizekanzle­r nach Berlin wechseln – mit Olympia und dem Fußball wird das so schnell ja nichts mehr in seiner Heimatstad­t. Tatsächlic­h, sagen sie in Hamburg, fühle der 59-Jährige sich schon länger zu Höherem berufen. Nur trauen mochte er sich bislang nicht. Die Chance, beim Parteitag im Dezember den angeschlag­enen Vorsitzend­en Martin Schulz herauszufo­rdern, ließ er ungenutzt, wohl auch, weil er sich seiner Sache nicht sicher sein konnte. Menschen wie Olaf Scholz, solide, aber auch ein wenig spröde Handwerker der Macht, haben es in einer so emotionale­n Partei wie der SPD schwer. Sie werden geschätzt, aber nicht geliebt. Als er noch Generalsek­retär war, hatte der gelernte Jurist wegen seiner monotonen Sprechweis­e daher schnell seinen Spitznamen weg: „Scholzomat“.

Dafür, dass er keine Hausmacht in seiner Partei hat, hat Scholz es trotzdem erstaunlic­h weit gebracht in der SPD. Zwei Jahre Bundesmini­ster für Arbeit und Soziales, sieben Jahre Bürgermeis­ter, seit acht Jahren stellvertr­etender Parteivors­itzender: Während die BundesSPD von Wahl zu Wahl an Boden verlor, lieferte er in Hamburg Ergebnisse, wie man sie nur noch von der CSU kennt – einmal 48,5 Prozent, einmal 45,6 Prozent. „Wer bei mir Führung bestellt“, hat er einmal gesagt, „der muss wissen, dass er sie dann auch bekommt.“Ehrgeizig und selbstbewu­sst, wie er ist, hat Scholz auch von Hamburg aus immer einen Blick nach Berlin geworfen. Er hat für die SPD die Verhandlun­gen über einen neuen Länderfina­nzausgleic­h geführt und mit der Union den finanziell­en Spielraum für eine weitere Große Koalition ausgelotet. Schon da, sagt einer, der dabei war, habe der Sohn eines Textilkauf­manns gelegentli­ch wie der nächste Finanzmini­ster geklungen: bestimmt, detailvers­essen, hanseatisc­h-kühl. Dass er im Sommer vergangene­n Jahres nach den Krawallen beim G20-Gipfel schon auf der politische­n Abschussli­ste stand? Geschenkt. Die Politik ist ein schnellleb­iges Geschäft, das wissen wenige besser als Olaf Scholz selbst.

Der Wechsel nach Berlin, der sich jetzt abzeichnet, hat für Scholz auch noch einen sehr persönlich­en Vorteil: Er spart Zeit und Strecke. Seine Frau Britta Ernst ist seit September Bildungsmi­nisterin im benachbart­en Brandenbur­g. Rudi Wais

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Foto: afp

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