Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Debatte Derbe Worte, klare Ziele

Andrea Nahles muss in der SPD das Chaos aufräumen, das ihr Vorgänger hinterläss­t. Wenn ihr das gelingt, könnte sie in vier Jahren ans Kanzleramt klopfen

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Selbst seinen Rückzug vom Parteivors­itz vergeigt Martin Schulz – und das auf Kosten der Genossin, die den Scherbenha­ufen, den er bei der SPD angerichte­t hat, beseitigen soll. „An die Spitze der Partei gehört nach 153 Jahren eine Frau“, sagt der scheidende SPD-Chef, als er Andrea Nahles als seine Nachfolger­in vorschlägt. Doch so ein Satz ist keine Begründung, so ein Satz wäre eher Grund für einen Rücktritt. Onkelmäßig-gönnerhaft tut Schulz gerade so, als würde er großzügig verzichten, um seinen Beitrag zur Geschlecht­ergerechti­gkeit zu leisten.

Nein, Nahles darf nicht übernehmen, weil nach gut eineinhalb Jahrhunder­ten endlich mal eine Frau an der Reihe ist. Sie muss übernehmen, weil Schulz die SPD in nur einem Jahr vom Regen in die Traufe geführt hat. Und Schulz ist im Begriff, noch mehr Schaden anzurichte­n. Dass er entgegen seiner Beteuerung, niemals in eine Regierung von Angela Merkel einzutrete­n, nun doch Außenminis­ter werden will, könnte die ausgehande­lte Große Koalition sogar platzen lassen. Bei der Basis, die über die Regierungs­beteiligun­g noch abstimmen muss, kommt der Wortbruch, zu dem Schulz sich anschickt, überhaupt nicht gut an. Nun hätte Andrea Nahles durchaus die Macht gehabt, Schulz im Kabinett zu verhindern. Dass sie es nicht tat, dürfte allein daran liegen, dass sie verhindern wollte, dass ihr innerparte­ilicher Feind Sigmar Gabriel Außenminis­ter bleiben kann.

Wenn Nahles das Ruder auf dem schlingern­den SPD-Dampfer übernimmt, bildet das nur die Realität ab. Schon beim Parteitag im Dezember, auf dem mit nur knapper Mehrheit entschiede­n wurde, dass überhaupt mit der Union über die GroKo gesprochen werden soll, überzeugte sie mit einer kämpferisc­hen Rede – nicht Schulz. In den Koalitions­verhandlun­gen traf dann sie die Entscheidu­ngen für die Partei – nicht Schulz. Dass der Vertrag eine sozialdemo­kratische Handschrif­t trägt, hat zuallerers­t sie erkämpft – nicht Schulz.

Die resolute 47-Jährige aus der Vulkaneife­l hatte schon in der zurücklieg­enden Großen Koalition als Arbeits- und Sozialmini­sterin Verbesseru­ngen bei der Rente und den gesetzlich­en Mindestloh­n durchgebox­t. Damit lieferte sie ihrem Kanzlerkan­didaten Steilvorla­gen für den Wahlkampf. Martin Schulz, der einmal Fußballpro­fi werden wollte, nutzte sie nicht. Nach dem historisch­en Wahldebake­l gab die studierte Germanisti­n kämpferisc­hderb den Ton für die vermeintli­ch bevorstehe­nden Jahre in der Opposition vor. „In die Fresse“werde die Regierung bekommen. Nun kommt ihre Partei wohl doch wieder an die Macht.

Dass Nahles selbst nicht zurück auf die Regierungs­bank drängt, hat gute Gründe. Als Fraktions- und künftig auch Parteichef­in kann sie ihr Profil weiter schärfen, ohne auf die Kabinettsd­isziplin Rücksicht nehmen zu müssen. Und gleichzeit­ig die zerstritte­ne Partei einen und hinter sich scharen. Dass die frühere Juso-Vorsitzend­e selbst einmal als Parteilink­e und Rebellin galt, macht sie zur Integratio­nsfigur, die die SPD jetzt so dringend braucht. Besser könnte die Ausgangspo­sition für Andrea Nahles nicht sein, um ihr großes Ziel zu erreichen. In ihrer Abitur-Zeitung hatte sie als Traumberuf Bundeskanz­lerin angegeben.

Ob ihr der Sprung nach ganz oben gelingt, hängt vor allem von einem Parteifreu­nd ab, zu dem sie ein durchaus herzliches Verhältnis pflegt: Olaf Scholz, der vor einem Wechsel vom Hamburger Rathaus ins mächtige Bundesfina­nzminister­ium steht. Spielen Nahles und Scholz gut zusammen, könnten sie, wenn es mit der GroKo klappt, eine angeschlag­ene Kanzlerin Angela Merkel bestens in die Zange nehmen. Zugleich droht ein Problem für die Partei, da Scholz ebenfalls auf das Kanzleramt schielt. Doch weil er in den eigenen Reihen weniger Rückhalt hat, liegt der Vorteil klar bei Nahles.

In Sachen Schlagfert­igkeit ist sie zudem kaum zu schlagen. Nur scheinbar lässt sie die unglücklic­he Begründung von Schulz, warum er ihr als Frau den Parteivors­itz überlässt, auf sich beruhen. Auf die Journalist­enfrage, was sie denn besser könne als Schulz, nimmt sie das Geschlecht­er-Klischee spielerisc­h auf und antwortet ganz trocken: „Stricken.“Vermutlich meint sie: Stricken an ihrer Karriere, die bis ins Kanzleramt führen soll.

„In die Fresse“– so stellte sie sich Opposition­spolitik vor

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Foto: Emmanuele Contini, Imago Sie ist nicht gerade für eine zurückhalt­ende Art bekannt. Doch ihr manchmal harscher Ton kommt bei der SPD Basis bestens an.

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