Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Beliebt wie nie – und kalt abserviert

Kabinett Seit Sigmar Gabriel Außenminis­ter ist, mögen ihn die Deutschen. Trotzdem steht er vor dem Aus. Weil Martin Schulz die eigene Karriere wichtiger war. Jetzt rechnet Gabriel mit ihm ab

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Sigmar Gabriel ist tief verletzt. Er lässt Termine platzen. Wichtige Termine. Zur Münchner Sicherheit­skonferenz nächste Woche kommt der Noch-Außenminis­ter schon mal nicht. Man muss kein besonders fantasievo­ller Mensch sein, um sich vorstellen zu können, wie grantig der 58-Jährige ist. „Ich habe das Amt des Außenminis­ters gern und in den Augen der Bevölkerun­g offenbar auch ganz gut und erfolgreic­h gemacht“, sagt er. „Und da ist es ja klar, dass ich bedauere, dass diese öffentlich­e Wertschätz­ung meiner Arbeit der neuen SPDFührung herzlich egal war.“

Gabriel beklagt „wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt“. Wen er meint mit dem Wortbruch ist klar: Martin Schulz. Es ist ein offenes Geheimnis in Berlin, dass Schulz Gabriel versproche­n hat, dass er im Falle einer neuen Großen Koalition als Außenminis­ter weitermach­en soll. Doch nun ließ Schulz ihn bemerkensw­ert kalt fallen, um sich selbst zu retten. Gabriel ist ohne Frage der große Verlierer der Großen Koalition. Die SPD sägt damit ihren beliebtest­en Politiker ab – nie war Gabriel populärer als jetzt, da seine Karriere so abrupt endet. Oder genauer gesagt: beendet wird. Es ist die Geschichte einer zerbrochen­en Freundscha­ft. Eine Geschichte von Demütigung­en und später Rache – vor allem aber vom Streben nach der Macht. Im ersten Kapitel gibt Sigmar Gabriel den selbstlose­n Helden, der seinem alten Freund Martin Schulz nicht nur die Kanzlerkan­didatur, sondern auch den Parteivors­itz überlässt. Die SPD ist berauscht von sich selbst. Doch sie tanzt nur einen Frühling. Schon bald verliert der viel bemühte Schulz-Zug an Fahrt und schon im zweiten Kapitel tut Gabriel das, was er auf gar keinen Fall tun wollte: Er mischt sich in den Wahlkampf ein, wird eine Art Schattenka­nzlerkandi­dat und gibt immer wieder kluge Ratschläge. Schulz empfindet das als Demütigung. Er leidet. Und er vergisst das nicht. Die Männerfreu­ndschaft beginnt zu bröckeln.

Spätestens nach dem Desaster bei der Bundestags­wahl wird klar, dass es neben Andrea Nahles nur einen geben kann: Gabriel oder Schulz. Im dritten Kapitel der Geschichte geht es für beide um das politische Überleben. Gabriel hat sich als Außenminis­ter profiliert, seine Sympathiew­erte steigen. Doch der Noch-Parteichef sitzt am längeren Hebel und er klammert sich fast verzweifel­t an die Macht. Obwohl er Stein und Bein geschworen hat, nicht in ein Kabinett Merkel einzutrete­n, will er jetzt genau das – und nimmt damit späte Rache an seinem Konkurrent­en. Wenn ihn nicht die eigene Partei noch aufhält, wird Martin Schulz der nächste Bundesauße­nminister – für Sigmar Gabriel ist dann kein Platz mehr.

Der künftigen Parteivors­itzenden kommt das ganz gelegen. Abgesehen davon, dass Andrea Nahles und Gabriel sich nicht leiden können, ist der schwer angeschlag­ene Schulz wesentlich bequemer für sie als der selbstbewu­sste Gabriel, der den Parteifreu­nden schon früher mit seiner polternden Art auf die Nerven gegangen ist. Dass dessen plötzliche­s politische­s Ende gut für die SPD sein soll, bezweifeln allerdings selbst Genossen, die ihm nicht so wohlgesonn­en sind.

Und Gabriel klingt jetzt schon sehr verbittert über den Stil, der mit dem Generation­swechsel an der Parteispit­ze einkehrt: „Ich komme wohl noch zu sehr aus einer analogen Welt, in der man sich nicht immer nur umschleich­t, sondern sich einfach mal in die Augen schaut und die Wahrheit sagt. Das ist scheinbar aus der Mode gekommen.“Nun liebäugelt der Minister mit seinem neuen Privatlebe­n. „Für mich beginnt jetzt eine neue Zeit. Zu Hause freuen sich schon mal alle darauf.“Aber selbst da gibt er seinem Genossen Martin Schulz noch eine mit. Seine kleine Tochter Marie habe ihm Donnerstag früh gesagt: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“

Es ist schwer zu glauben, dass diese Geschichte schon zu Ende erzählt ist.

Schulz leidet unter Gabriel. Und er vergisst das nicht

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Foto: dpa Die einstigen Freunde haben sich nicht mehr viel zu sagen: Martin Schulz (links) und Sigmar Gabriel.

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