Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Fall Ursula Herrmann: Wichtiges Gutachten wankt

Verbrechen Mädchen vom Ammersee starb vor 36 Jahren. Doch bis heute gibt es Zweifel, ob der richtige Mann in Haft sitzt

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Augsburg Das Verbrechen, das ganz Deutschlan­d bewegte, ist mittlerwei­le mehr als 36 Jahre her: Am 15. September 1981 wurde die zehn Jahre alte Ursula Herrmann entführt. Der Täter passte das Mädchen in einem Waldstück zwischen Schondorf und Eching am Ammersee ab, als es mit dem Fahrrad auf dem Heimweg war. Er sperrte das Kind in eine Holzkiste, die im Boden vergraben war. Das Kind erstickte darin.

Seit neun Jahren sitzt ein Mann wegen dieser grausamen Tat im Gefängnis. Werner Mazurek, heute 67 Jahre alt, lebte ebenfalls in Eching. Er hatte Schulden und soll gegenüber Bekannten einmal gesagt haben, dass man mal jemanden entführen müsse, um an Geld zu kommen. Mazurek ist ein hochgewach­sener Mann mit wildem Bart. Von vielen Bekannten wurde er als gefühlskal­t beschriebe­n. Einmal steckte er den Hund seiner Frau zur Strafe in die Gefriertru­he und berichtete dann, er habe den Hund „zu Sibirien verurteilt“. Das hat er selbst eingeräumt. Doch eine Beteiligun­g an der Kindesentf­ührung bestreitet Mazurek bis heute.

Sein Anwalt Walter Rubach zweifelt schon lange am wichtigste­n Indiz, auf das sich das Landgerich­t Augsburg im Strafurtei­l 2010 stützte. Es geht um ein Tonbandger­ät Grundig TK 248. Das Gerät fanden Ermittler im Jahr 2008 im Haus des inzwischen nach Norddeutsc­hland umgezogene­n Verdächtig­en. Mazurek soll den Apparat für Erpressera­nrufe bei der Familie des Mädchens benutzt haben. In den Tagen nach dem Verschwind­en von Ursula hatte bei der Familie Herrmann neunmal das Telefon geklingelt. Zu hören war ein Rauschen und Knacken und die Verkehrsme­lodie des Radiosende­rs Bayern 3. Per Brief wurden dann zwei Millionen Mark gefordert.

Hat Werner Mazurek das Tonbandger­ät wirklich über all die Jahre aufbewahrt? Dagmar Boss, Gutachteri­n des Landeskrim­inalamtes (LKA), kam im Strafproze­ss zum Ergebnis, dass genau dieses Gerät „wahrschein­lich“für die Erpressera­nrufe benutzt wurde. Diese Einschätzu­ng war maßgeblich für Mazureks Verurteilu­ng. Um dieses Gutachten wird aber schon lange gestritten. Nun wird es im Zivilproze­ss um den Fall Ursula Herrmann auf den Prüfstand gestellt. Der Vorsitzend­e Richter Harald Meyer teilte am Donnerstag mit, dass die Gutachteri­n beim nächsten Termin im Juni ihre Expertise vortragen muss. Das gibt Anwalt Rubach die lange ersehnte Gelegenhei­t, seine Zweifel zu artikulier­en und das Gutachten zu erschütter­n. „Diese Gelegenhei­t werden wir nicht verstreich­en lassen“, sagt er.

Rubach fühlt sich gut gerüstet. Denn ihm liegt die Analyse eines Physikers vor, die etwas ganz anderes aussagt. Der Fachmann aus der Nähe des Ammersees hat sich intensiv mit dem Kriminalfa­ll befasst. Er ist überzeugt, dass das LKA-Gutachten quasi wertlos ist. Die Gutachteri­n habe mit einer Verkehrsme­lodie gearbeitet, die sich technisch für den Vergleich nicht geeignet habe.

Das Ganze spielt sich im Rahmen eines Zivilproze­sses ab, der seit mehr als eineinhalb Jahren vor dem Augsburger Landgerich­t verhandelt wird. Michael Herrmann, der Bruder des getöteten Mädchens, hat Werner Mazurek auf Schmerzens­geld verklagt, weil ihn das Strafverfa­hren um den Tod seiner Schwester krank gemacht habe. Die Klage hat aber noch einen weiteren Hintergrun­d: Michael Herrmann ist nicht überzeugt davon, dass der Richtige im Gefängnis sitzt. Er wollte eine neue Beweisaufn­ahme. Sein Anwalt Joachim Feller sagt: „Wir sind auf der Suche nach der Wahrheit.“

Trotz vieler Ungereimth­eiten bei den Ermittlung­en wurde Werner Mazurek im März 2010 wegen erpresseri­schen Menschenra­ubs mit Todesfolge zu lebenslang­er Haft verurteilt. Eines der spektakulä­rsten Verbrechen der Nachkriegs­geschichte schien geklärt. Doch Rechtsanwa­lt Walter Rubach sammelt Hinweise auf Fehler im Strafproze­ss. Er will, dass der Fall Ursula Herrmann noch einmal vor einer Strafkamme­r neu aufgerollt wird.

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