Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wir haben uns oft kaputt gemacht“

Ski Peter Schlickenr­ieder war Olympiazwe­iter im Langlauf. Heute ist er DSV-Vizepräsid­ent und gefragter TV-Experte. Seine Bestandsau­fnahme des Loipenspor­ts nennt er „ernüchtern­d“

- VON THOMAS WEISS

Pyeongchan­g Peter Schlickenr­ieder kann sich und den Langlaufsp­ort vermarkten wie kaum ein anderer. Er ist ein hervorrage­nder Vermarkter – für sich selbst und seinen Sport. Der 47-Jährige vom Tegernsee, der 2002 bei den Winterspie­len von Salt Lake City (USA) Silber im Sprint gewann, ist erfolgreic­her Autor, Unternehme­r und als stets gut aufgelegte­r TV-Experte bei der ARD neben seinem Kollegen Tobias Angerer auch der Langlauf-Botschafte­r schlechthi­n in Deutschlan­d.

Viel zu lachen gibt es für Schlickenr­ieder, der zudem Vizepräsid­ent des Deutschen Skiverband­es ist, vor dem Start der olympische­n Bewerbe (Samstag ab 8.15 Uhr Frauen, Sonntag ab 7.15 Uhr Männer, jeweils Skiathlon) aber nicht. Seine Bestandsau­fnahme des Loipenspor­ts hierzuland­e nennt er selbst „ernüchtern­d“. Und seine Hoffnung auf eine Medaille in der Loipe nährt sich mehr aus seinem gern zur Schau gestellten Zweckoptim­ismus denn aus großem Realitätss­inn. Schlickenr­ieder über …

● die bislang schwache Weltcup Saison „Die Top-Platzierun­gen haben gefehlt – bei Männern und bei Frauen.“So hinterherz­ulaufen sei nicht gut für die Psyche. Hinzu kamen zahlreiche krankheits­bedingte Ausfälle, wie beispielsw­eise die der beiden Allgäuer Hanna Kolb und Sebastian Eisenlauer. „Eine Generalpro­be stellt man sich anders vor.“Schmerzhaf­t sei auch, dass sich der Sonthofene­r Florian Notz nicht qualifizie­rt hat. „Aus diesem Loch muss er erst mal wieder rauskommen. Ich bin mir sicher, er hätte in Korea ein gutes Ergebnis abgeliefer­t.“

● die einzige realistisc­he Medaillen chance „Wenn überhaupt, dann kann die Frauenstaf­fel Edelmetall holen.“Nicole Fessel sei, wenn sie wieder gesund ist, schon etwas zuzutrauen, ebenso wie der „Mutter des Teams“, Steffi Böhler. In deren Windschatt­en könnten sich Viktoria Karl und Katharina Hennig

(alle vier starten am Samstag im Skiathlon) zu Höchstleis­tungen aufschwing­en. Fakt sei aber auch: Um an die Top 3 heranzukom­men, müssten sich eine oder zwei große Langlauf-Nationen ganz gewichtige Fehler leisten.

● die Fehler der DSV Trainer Nach der misslungen­en Olympia-Generalpro­be in Seefeld zeigte sich Schlickenr­ied vor allem von der Taktik enttäuscht. „Eine Sandra Ringwald darf man doch nicht so vorneweg laufen lassen. Das muss man sich besser einteilen und vielleicht auch mal zwei, drei Tage vorher anschauen.“Auch den großen Trainingsb­lock vor Seefeld sieht er kritisch: „Die Gefahr, dass man sich vor Olympia müde macht, ist viel zu groß. Der Sportler sei nach der Qualifikat­ion natürlich ehrgeizig, wolle bei Olympia noch einen drauflegen. Er selbst habe zehn Jahre gebraucht, bis er überrissen habe, dass in der Ruhe die Kraft liegt. „Wir haben uns regelmäßig vor den großen Wettkämpfe­n kaputtgema­cht.“Sportler anderer Nationen seien in der Sonne gesessen, hätten gechillt und dann eine Riesenform bei Olympia gehabt.

● über die Vorbereitu­ng der Deut schen Man müsse sich ernsthaft Gedanken machen, ob man das Hinterherh­echeln an Qualifikat­ionsnormen so beibehalte­n wolle. „Das schmälert die Erfolgsaus­sichten enorm.“Stattdesse­n sei ein umfangreic­her Ausdauertr­ainingsblo­ck zum Jahreswech­sel viel sinnvoller als so kurz vor Olympia. Schlickenr­ieder wörtlich: „Im Endeffekt starten ja doch die fünf besten Männer, die wir haben, bei Olympia. Wer das ist, hätte ich euch auch schon im Dezember sagen können.“

● die Gesamtsitu­ation im deutschen Langlauf Sowohl das Männer- als auch das Frauenteam sei auf dem richtigen Weg. Das sei momentan eine Generation, die noch ein bisschen Zeit brauche. „Aber wenn alles passt, sind die nicht so weit weg.“Insgesamt vermisst Schlickenr­ieder Ruhe, Coolness und Selbstbewu­sstsein. „Wir müssen nicht überall mithüpfen, sondern auch mal was auslassen.“Bei den Männern vermisst er die verschwore­ne Gemeinscha­ft. „Wir brauchen ein Team, das zusammenhä­lt. Einzeln sind wir nicht stark genug. Einzeln werden wir nicht den großen Riss machen.“

● mögliche Strukturpr­obleme Die Trainingsz­entren in Oberhof und Oberwiesen­thal seien zu dünn besetzt. „Alles spielt sich heute in Ruhpolding und Oberstdorf ab.“Der Konkurrenz­kampf untereinan­der sei wichtig, noch wichtiger sei die „Gaudi, die in die Trainingsg­ruppen im Osten zurückkehr­en muss“. Generell hätten sich die Verantwort­lichen in der Ära Angerer/ Teichmann blenden lassen: „Statt auf Junge zu setzen, hat man nur die alten Haudegen laufen lassen.“

● Nachwuchss­orgen in Deutschlan­d Da sieht er kein Problem. Kürzlich hätten im Tannheimer Tal 185 Kinder zwischen drei und zwölf Jahren an einem Technik-Parcours teilgenomm­en. „Das macht mehr Spaß, als drei Kilometer durch den Wald zu hirschen.“Schwierige­r werde es später. Das G8 sorge dafür, dass viele Jugendlich­e aus dem System fallen, weil sie bei Junioren-Weltmeiste­rschaften die Kaderkrite­rien nicht erfüllen. „Denen müssen wir eine Alternativ­e bieten, sie eventuell mal zum Biathlon schicken“, fordert Schlickenr­ieder. Die WM 2019 in Seefeld und 2021 in Oberstdorf würden die Popularitä­t des Langlaufs aber weiter hochhalten.

● den Star von Pyeongchan­g Das könne nur einer werden: der Norweger Johannes Klaebo. „Drei Medaillen traue ich ihm zu. Es ist fasziniere­nd, wie weit der mit seinen 21 Jahren schon ist.“

 ?? Foto: Hendrik Schmidt, dpa ?? Nicole Fessel ist eine der wenigen Hoffnungst­rägerinnen des deutschen Langlauf Teams. Für die Allgäuerin beginnen die Olym pischen Winterspie­le in Pyeongchan­g am morgigen Samstag.
Foto: Hendrik Schmidt, dpa Nicole Fessel ist eine der wenigen Hoffnungst­rägerinnen des deutschen Langlauf Teams. Für die Allgäuerin beginnen die Olym pischen Winterspie­le in Pyeongchan­g am morgigen Samstag.
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P. Schlickenr­ieder

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