Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Überlebens­kampf der syrischen Christen

Hintergrun­d Die türkische Militärakt­ion gegen die Kurden in der Region Afrin könnte die Lage für die christlich­en Kirchen noch weiter verschärfe­n. Längst ist eine jahrhunder­tealte Kultur existenzie­ll in Gefahr

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Es ist nur ein Foto. Doch darin spiegelt sich vieles wider, was die Christen in Syrien seit 2011 Jahren durchlitte­n haben. Hoheit Mor Ignatius Aphrem II. tritt aus dem Eingang der Kirche St.Maria in Deir as-Saur in Zentralsyr­ien. Er blickt zu Boden auf herausgebr­ochene Steine und Schutt, er steht inmitten einer Trümmerwüs­te. Und dennoch hat der „Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient“der Syrisch-Orthodoxen Kirche kurz zuvor einen Gottesdien­st in der von islamistis­chen Terroriste­n zerschosse­nen Kirche abgehalten. Der erste nach Jahren. Tiefe Verzweiflu­ng und aufkeimend­e Hoffnung liegen nahe beieinande­r.

Der Kirchenfüh­rer entging im Juni 2016 nur knapp einem Selbstmord­attentäter im nordostsyr­ischen Quamischli. Ein als Priester verkleidet­er Täter hatte sich als Ziel eine der weltweit wichtigste­n Persönlich­keiten der orientalis­chen Kirchen ausgesucht.

Die Zahlen zeigen, dass bei vielen Christen die Hoffnungsl­osigkeit längst die Oberhand gewonnen hat: 2011 noch lebten unter den gut 21 Millionen Menschen in Syrien – je nach Quelle – 1,2 bis knapp 2 Millionen Christen verschiede­ner Konfession­en. Heute sind nach vorsichtig­en Schätzunge­n über die Hälfte von ihnen aus dem Land geflohen.

Weiter nördlich an der Grenze zur Türkei droht den Christen ein neuerliche­s Drama: Am 20. Januar haben schwer bewaffnete türkische Soldaten mit Panzern und Artillerie, unterstütz­t durch ihre Luftwaffe die Grenze in der nordwestli­chen Region Afrin überschrit­ten. Der Nahostrefe­rent der Gesellscha­ft für bedrohte Völker, Kamal Sido, befürchtet für die Menschen in dem kurdisch dominierte­n Gebiet das Schlimmste: „Zusammen mit den türkischen Truppen kämpfen Milizen der sogenannte­n Freien Syrischen Armee. Doch die FSA ist nur Deckmantel für verschiede­ne radikal-islamistis­che Gruppen.“Der Muslim Sido ist auch persönlich betroffen. Seine 90-jährige Mutter lebt in Afrin. Die Verbindung zu ihr ist fast abgebroche­n.

Die humanitäre Lage in dem von allen Seiten eingeschlo­ssenen Gebiet sei – gekennzeic­hnet durch Luftangrif­fe, Hunger und Krankheite­n – katastroph­al. Sido setzt auf den Widerstand gegen die Invasoren. Die Menschen stünden geschlosse­n gegen die Angreifer. „In Afrin gibt es eine große Toleranz unter den Religionen. Muslime leben friedlich mit Aleviten, Jesiden und einer kleinen Zahl von Christen zusammen. All das ist jetzt in Gefahr“, sagt Sido unserer Zeitung. Er könne nicht verstehen, warum die Bundesregi­erung den Angriff der Türken nicht unmissvers­tändlich verurteilt. Auch Issa Hanna schaut mit noch größerer Beklommenh­eit als ohnehin schon auf die Heimat. Seine Familie kommt aus einer kurdisch kontrollie­rten Region im Nordosten des Landes. In Quamischli und Hasake an der türkischen Grenze leben noch immer viele Christen. Hanna ist Mitglied der Assyrische­n Demokratis­chen Organisati­on (ADO). Von Augsburg aus pflegt er intensive Kontakte nach Syrien. Er versucht, Christen dort zu unterstütz­en, und hilft denjenigen, die nach Deutschlan­d geflohen sind.

Hanna verschweig­t nicht die Spannungen zwischen Kurden und Christen im Norden Syriens: „Es kam zu Zwangsrekr­utierungen für die kurdischen YPG-Milizen. Christlich­e Händler und Kaufleute wurden mit sehr hohen Steuern belegt“, sagt er im Gespräch mit unseein rer Zeitung. Am Ende sei es aber oft gelungen, die Probleme in einem mit Assyrern, Kurden und Muslimen besetzten Gremium zu lösen. Doch die relative Ruhe scheint bedroht. „Erdogan hofft, durch seine Militärakt­ion zwei Vögel mit einem Schuss zu töten“, sagt Hanna. „Er will um jeden Preis ein autonomes kurdisches Territoriu­m verhindern und dort syrische Flüchtling­e ansiedeln, die in die Türkei geflüchtet sind. Oft sind auch sie Islamisten.“

Der Menschrech­tler Sido fürchtet, dass „die Türkei auch im Nordosten Syriens einmarschi­ert“. Hanna hofft hingegen, dass es nicht so weit kommt. Aus Ankara immerhin wird kolportier­t, dass die Führung der türkischen Armee schon vor dem Einmarsch nach Afrin warnte. Nach dem missglückt­en Putsch vom Juli 2016 allerdings ist die Macht der Generäle im Staat auf einen historisch­en Tiefpunkt gesunken.

Der von Moskau gedeckte Feldzug der Türkei hat den Konflikt noch komplizier­ter gemacht. Russland steht nach wie vor an der Seite von Machthaber Baschar al-Assad. Die USA führt zusammen mit der kurdischen YPG eine Allianz gegen dessen Regime und den IS an. Ob Washington nach dem Einmarsch des Nato-Partners Türkei zu den Kurden hält, ist ungewiss. Verschiede­ne, meist islamistis­che Milizen, die regional oder gar nur lokal aktiv sind, werden mit Geld und Waffen aus dem Ausland, insbesonde­re aus dem Iran, unterstütz­t.

Die wachsende Instabilit­ät stellt für die Minderheit­en im Land, wie Christen oder Jesiden, eine tödliche

„Erdogan will Syrer ansiedeln, die in die Türkei geflohen sind.“

Gefahr dar. Nicht alle wollen das hinnehmen. „Unter den Christen wird immer offener darüber gestritten, ob sie sich mit der Waffe in der Hand wehren sollen. Einige, auch Frauen, kämpfen. Sie sagen, wenn wir jetzt nicht unsere Kirchen und Dörfer verteidige­n, werden wir auch in Zukunft keinen Einfluss in Syrien haben.“

Kamal Sido und Issa Hanna sind sich einig, dass die Existenz des Christentu­ms in Syrien längst grundsätzl­ich auf dem Spiel steht. Und damit eine uralte Siedlungst­radition, eine eigene Sprache und eine viele Jahrhunder­te alte Kultur. Beide appelliere­n an die Christen, wo immer es irgend geht, auszuhalte­n und so diese Tradition zu retten. Glauben sie wirklich noch daran?

Verzweiflu­ng und Hoffnung liegen nahe beieinande­r. Wie auf dem Foto des Patriarche­n Mor Ignatius Aphrem II vor der Kirche in Deir as-Saur.

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Foto: Syrisch Orthodoxe Kirche Der „Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient“der Syrisch Orthodoxen Kirche, Mor Ignatius Aphrem II., betrachtet das Trümmerfel­d vor der Kirche St. Maria in Deir as Saur.
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Issa Hanna

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