Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Abgearbeit­et an Bert Brecht

Interview Wie die Augsburger Brecht-Preisträge­rin Nino Haratischw­ili ihr Verhältnis zu dem Dramatiker sieht

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Unter welchem Eindruck standen Sie, als Sie das erste Mal mit dem Werk von Bert Brecht in Berührung kamen? Und wie ist heute Ihr Verhältnis zu den Schriften des Dramatiker­s und Dichters?

Haratischw­ili: Ich würde sagen, dass Brecht unter den Dramatiker­n und Schriftste­llern ist, an denen ich mich am meisten abgearbeit­et habe. Das erste Mal kam ich mit seinem Werk als Jugendlich­e in Berührung, als ich Robert Sturuas „Der kaukasisch­e Kreidekrei­s“im Rustaveli Theater meiner Heimatstad­t Tiflis sah. Das war eine sehr bekannte Inszenieru­ng, die weltweit tourte und die sehr politisch und zugleich sehr karnevales­k war. Es war damals für mich wie eine Offenbarun­g und einer der wichtigste­n Gründe für meine Theaterbeg­eisterung. Später, im Regiestudi­um, als ich mich in seine Werke vertiefte und die theaterthe­oretischen Abhandlung­en las, gab es vieles, wogegen ich „stieß“– falls man das so sagen kann –, an dem ich mich abgearbeit­et habe. Auch sein enormer Einfluss auf das gegenwärti­ge Regietheat­er in Deutschlan­d war etwas, womit ich durchaus zu kämpfen hatte, denn ich kam aus einer anderen Theatertra­dition, und es hat eine Weile gedauert, bis ich diese Theaterfor­m verstehen und durchdring­en und in ihr meinen eigenen Weg finden konnte. Aber ich würde sagen, dass mein Theaterver­ständnis beziehungs­weise meine Auffassung unter anderem auch sehr durch die Auseinande­rsetzung mit seinem Werk geprägt ist.

Was würden Sie empfehlen, als Erstes von Brecht zu lesen? Und warum? Haratischw­ili: Ich muss zugeben, dass ich seine Gedichte am schlechtes­ten kenne, und daher kann ich mir darüber kein Urteil bilden, aber ich liebe „Baal“sehr und würde vielleicht dieses Stück jemandem als Erstes ans Herz legen wollen.

Unabhängig von der Jury-Begründung zur Preiszuerk­ennung: Wie sehen Sie – mit Ihren Worten – Brechts Linie durch Ihr Werk fortgesetz­t? Haratischw­ili: Ich kann nicht sagen, dass ich unbedingt seiner „Linie“folge – auch da gibt es ja sehr unterschie­dliche Phasen und Texte –, aber vor allem als Dramatiker­in hat er meine Sicht auf das Theater extrem geprägt – sei es, an manchen Punkten, durch Abgrenzung.

Gibt es ein Generalthe­ma, unter dem Ihre Bücher und Theaterstü­cke zusammenge­fasst werden könnten? Haratischw­ili: Das ist schwer zu sagen, da man ja keinen objektiven Blick auf das eigene Schaffen hat. Ich würde sagen, dass der Mensch, die menschlich­en Beziehunge­n samt ihrer Tragik und Komik, und natürlich auch der Kontext der Zeit und der Politik, in der sie stattfinde­n, für mich im Fokus stehen.

Was arbeiten und lesen Sie zurzeit? Haratischw­ili: Ich habe einen neuen Roman abgeschlos­sen und beginne mit meinen Lektoren die Lektoratsa­rbeit. Zuletzt gelesen habe ich Leila Slimani: „Dann schlaf auch du“– ein erschütter­ndes und zugleich ein sehr beeindruck­endes Buch.

Wie verwenden Sie Ihr Preisgeld? Haratischw­ili: Das Wertvollst­e, das einem eine gewisse finanziell­e Sicherheit schenken kann, ist – meiner Meinung nach – Zeit. Die Zeit, um kreativ zu sein, um sich den Dingen widmen zu können, die einem wirklich wichtig sind, ohne Ablenkung, ohne anderweiti­ges Müssen. Ich denke, dass ich mir einfach diese Zeit nehme – um an weiteren Projekten und Ideen zu arbeiten.

Interview: Rüdiger Heinze

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