Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Ich möchte keinen Tag mit meinem Sohn missen“
Kinderhospiztag Ute Zimmer hat 18 Jahre ihren unheilbar kranken Sohn gepflegt – bis zu seinem Tod. Das Leben ohne ihn kostet Kraft. Wer ihr dabei hilft, mit der Trauer umzugehen
Günzburg Ute Zimmers Sohn Matthias litt an Muskeldystrophie Duchenne, einer muskulären Erbkrankheit, bei der sich die Muskulatur nach und nach abbaut. Die Krankheit ist unheilbar und endet meist im jungen Erwachsenenalter tödlich. Matthias wurde nur 18 Jahre alt. Doch seine Mutter ist nicht allein. „Wir begleiten über den Tod hinaus“, sagt Sylvia-Maria Braunwarth. Die Koordinatorin des Malteser Kinder- und Jugendhospizdienstes Günzburg/Neu-Ulm/Dillingen/Donau-Ries steht seit Jahren der trauernden Mutter zur Seite, gibt ihr Halt und unterstützt sie bei ihrer Lebensgestaltung.
Viele Jahre kämpfte Matthias’ Mutter alleine für ihr pflegebedürftiges Kind, das schon früh im Rollstuhl saß und in allen Situationen auf Hilfe angewiesen war. Rund um die Uhr, ohne Pause und ohne Ruhetag war sie für ihn da. „Ich kann heute noch keine Nacht durchschlafen“, räumt die 51-Jährige ein. Die Pflege ihres schwerkranken Buben, der nachts beatmet wurde, nahm die Alleinerziehende voll in Anspruch. Für eine geregelte Arbeit blieben ihr weder Zeit noch Kraft. Die Unterstützung des Kinder- und Jugendhospizdienstes nahm sie erst ab dem neunten Lebensjahr ihres Jungen in Anspruch. Heute rät sie betroffenen Eltern: „Tut euch das nicht an. Holt euch frühzeitig Hilfe!“
Sylvia-Maria Braunwarth begleitet seit elf Jahren die Mutter und bis zu seinem Tod auch Matthias. „Mit 18 hat er sich entschieden zu sterben“, erzählt sie. Bei seinem letzten Krankenhausaufenthalt habe er mit den Ärzten vereinbart, dass man ihn nicht zurückholen dürfe, wenn die Atmung aussetze. „Er hat sich bewusst von allen Menschen verabschiedet, die ihm wichtig waren“, erinnert sich die Kinder- und Jugendtrauerbegleiterin.
Für Ute Zimmer begann nach Matthias’ Tod nicht nur der schwere Weg der Trauer. Sie stand finanziell vor dem Nichts, bekam kein Pflegegeld mehr und wusste nicht, wie sie ihren Kühlschrank füllen sollte. Sylvia-Maria Braunwarth kümmerte sich um Lebensmittel, sammelte Geld für die Beerdigung und hat bis heute ein offenes Ohr für sie. „Ich bin ihr unendlich dankbar für alles, was sie für mich tut“, sagt Ute Zimmer. Anders verhielten sich Familienangehörige. Als Matthias lebte, fielen Sätze wie: „Das ist doch kein Leben. Es ist besser, wenn er stirbt.“Heute heißt es: „Warum trauerst du immer noch? Er ist schon zwei Jahre tot!“
Sylvia-Maria Braunwarth kennt dieses Unverständnis für Menschen in Trauer. Es sei Aufgabe des Kinderund Jugendhospizdienstes, den Betroffenen ein Anker zu sein. In den vergangenen Tagen musste Ute Zimmer eine neue Herausforderung meistern: Das Sozialamt hatte ihr auferlegt, in eine kleinere Wohnung umzuziehen. „Es war ein schwerer Schritt für sie, das gemeinsame Zuhause loszulassen“, sagt Braunwarth. Dank des Kinder- und Jugendhospizdienstes fühlt sich die trauernde Mutter nicht alleingelassen. Inzwischen besucht sie eine Trauergruppe, in der sie sich mit Betroffenen austauscht. Obwohl ihr Leben anders verlaufen ist, als sie sich das gewünscht hat, sagt sie klar und deutlich: „Ich würde es wieder so machen, und ich möchte keinen Tag und keine Sekunde mit Matthias missen.“