Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Abgeschirmt von Wellen aller Art
Medizin Der Arzt Ulrich Schneider hat in Biberbach einen Raum der ganz besonderen Art eingerichtet. Was ohne Dauerbeschuss mit elektromagnetischer Strahlung passieren kann
Biberbach Es ist ungewöhnlich still in dem dunklen Raum. Kein leises Rauschen vom Verkehr, kein kaum wahrnehmbares Sirren, das wir von elektrischen Geräten kennen, aber bewusst schon gar nicht mehr wahrnehmen. Kein „ping“vom Mobiltelefon, das muss man nämlich draußen lassen. Mit einer weichen Decke über den Beinen ist es angenehm warm. Die Gedanken gehen auf Wanderschaft, leise Atemzüge verraten, dass man nicht allein ist.
In der neuen Hausarztpraxis in Biberbach gibt es diesen Raum im Souterrain, der schon während der Bauarbeiten neugierig machte. Mit Stahlmatten verkleidet und mit dämpfendem Kork versehen, ganz ohne elektrische Leitungen in den Wänden sind seine 18 Quadratmeter abgeschirmt von Wellen aller Art. Normalerweise stehen wir 24 Stunden am Tag unter Dauerbeschuss elektromagnetischer Strahlung. Den Aufenthalt in einem von diesen Umwelteinflüssen abgeschirmten Raum kann man sich vorstellen wie einen Systemneustart am Computer, zieht Dr. Ulrich Schneider einen greifbaren Vergleich heran. „So ein Re-Set kann erstaunliche Reaktionen im Körper freisetzen“, ist der Mediziner überzeugt.
Und so ist es auch. Eine alte Narbe zwickt plötzlich. Nicht schlimm. Nur als würde sie kurz aufzeigen: Ich bin auch noch da und vom Körpergedächtnis nicht vergessen. Ein kurzes Zucken im Knie, das mal eine Weile lang richtig wehgetan hat. Dann Ruhe. Plötzlich beginnen Tränen zu laufen, ein kleiner psychischer Damm ist da wohl gebrochen. Nichts Dramatisches. Es fühlt sich an wie eine Kruste, die sich gelöst hat, um Luft an eine alte Wunde zu lassen. Ein ungewohntes, aber nicht unangenehmes Gefühl.
Doch wie kommt man auf die Idee, sich ohne Not in einen abgeschirmten Raum zu setzen? Professor Josef Pöppel ist bei seiner Arbeit als Lehrbeauftragter für elektrische Mess- und Schaltungstechnik sowie Akustik vor zwölf Jahren rein zufällig über das Phänomen gestolpert. Menschen, die sich in dem Akustikraum der Technischen Universität Ingolstadt aufgehalten hatten, berichteten von erstaunlichen Effekten.
Tinnituspatienten spürten eine Verbesserung oder sogar ein plötzliches Ende des leidigen Pfeifens im Ohr, von Allergien oder Asthma Geplagten ging es plötzlich besser. Mit über 1000 Interessierten war Pöppel, der den unerwarteten Effekt seines Arbeitsplatzes faszinierend fand, seitdem im Akustikraum. Im Rahmen des EU-Forschungsprojekts „Tinnet“wird weiter nach den Zusammenhängen geforscht. Schneider hatte von dem Phänomen gehört und kam mit seiner Mutter zur einer Sitzung in den Behandlungsraum der etwas anderen Art nach Ingolstadt. Der Tinnitus der Mutter verbesserte sich tatsächlich. Eine Erfahrung, die den Arzt, der keine Angst vorm Querdenken hat, nicht mehr losließ. Er probiert nach bald 30 Jahren als Mediziner immer noch gerne mal Neues aus, hat Erfahrung mit energetischen Abläufen im Körper und deren Beeinflusin sung. Deshalb machte es für ihn auch Sinn, dass eine komplette Abschirmung von jeder Art von Wellen etwas im menschlichen Körper und Geist anstoßen könnte.
„Man muss zur Abwechslung einmal gar nichts tun, nichts einnehmen, nur gemütlich liegen und seinen Gedanken freien Lauf lassen“, verspricht Schneider nichts, sondern rät dazu, einfach einen Versuch zu wagen. Neben Tinnitus und Schwindel kann auch Besserung bei der ganzen Bandbreite der Autoimmunerkrankungen, bei Hauterkrankungen, Schlafstörungen oder Nervosität eintreten. Manchmal reicht eine einzelne Sitzung, andere kommen drei- bis fünfmal zur Ruhepause in den abgedunkelten Raum.
Insgesamt sieht Schneider bei mindestens zwanzig Prozent der Patienten eine deutliche Verbesserung der Symptome. Und das ganz ohne Nebenwirkungen.
Witzig findet er, dass nicht nur seine menschlichen Patienten auf die Behandlung, die ja eigentlich keine ist, reagieren. Die Hündin einer Mitarbeiterin war nach einem Hörsturz in schlechter Verfassung. „Die Arme hatte Gleichgewichtsstörungen und war nur noch unruhig, es ging ihr gar nicht gut.“Im abgeschirmten Raum entspannte sie sich und schlief nach fünf Minuten ein. Eine Placebowirkung schließt Schneider dabei aus, denn Chipsy hat nachweislich den in der Praxis ausliegenden Flyer nicht gelesen.
Alle zwei Wochen geht Schneider mit Patienten für eine halbe Stunde in den Keller. Wer dabei sein möchte, der kann sich in der Hausarztpraxis Schneider und Kutelia in Biberbach einen Platz reservieren.