Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Arm ist ärmer und reich reicher jetzt“

Premiere Mit der Inszenieru­ng von „Fatzer“beginnt morgen im Martinipar­k das Brechtfest­ival. Regisseur Christian von Treskow hat das Stück einstudier­t – ein Gespräch

-

Brechts „Fatzer“-Fragment ist ja nicht so bekannt. Der Dramatiker Heiner Müller hat es in eine Form gebracht. Erzählen Sie doch mal – mit Ihren Worten – den Inhalt. Christian von Treskow: Das ist relativ schnell erzählt. In der Endphase des Ersten Weltkriegs desertiere­n vier Panzer-Soldaten und schlagen sich durch bis Mülheim an der Ruhr, wo einer von ihnen Frau und Wohnung hat. Dort wollen sie abwarten, bis sich die von ihnen erwartete Revolution ereignet, um sich in der Folge dann – straffrei – stellen zu können. Gleichzeit­ig wollen die vier auch bei dem erhofften Aufstand mithelfen. Aber die Revolution kommt nicht, und Fatzer erkennt, dass es mit den ihn umgebenden Menschen auch keine Revolution geben wird. Am Schluss wird er von seinen drei ehemaligen Kameraden aus der Gruppe ausgeschlo­ssen und zum Tode verurteilt.

Ist Fatzer, wie es der Titel des Dramas suggeriert, von Beginn an ein Egoist? Treskow: Der Begriff Egoist ist bei uns ja stark negativ konnotiert. Es ist auch ein Begriff, den Brecht als Titel für sein Fragment erst später vorgeschla­gen hat. Am Anfang gab es nur die Fatzer-Figur, eine monolithis­che Figur wie Baal, Kragler, Shlink und Mauler, die den Zwiespalt des Autors widerspieg­elt zwischen eigenen Bedürfniss­en und dem Notwendige­n, das zu tun ist für die Allgemeinh­eit. Fatzer ist eigentlich mehr als ein Egoist. Er will von sich aus, im Alleingang, unabhängig, die Welt verbessern. Das Stück behandelt also das Spannungsf­eld zwischen Solidaritä­t und Individual­ismus. Liegt diesbezügl­ich gerade etwas im Argen in Deutschlan­d?

Treskow: Wenn man den Fatzer inszeniert, dann wird man diesbezügl­ich geradezu mit der Nase darauf gestoßen. Es ist, als ob das Stück heute geschriebe­n worden wäre. „Arm ist ärmer und reich reicher jetzt“– so heißt es im Stück. Als ob man es gestern in der Zeitung gelesen hätte. Und auch die Wohnungsno­t wird beschriebe­n. Dabei wird Kapitalism­uskritik in dem Stück gar nicht betrieben. Es geht darum, wie die Dynamik in einer Gruppe von Menschen verläuft, die sich der Menschlich­keit verschrieb­en hat.

Heiner Müller hat Brecht in Form gebracht – und Sie noch einmal Heiner Müller leicht bearbeitet. Mit welchem Ziel?

Treskow: Wir haben vor allem gekürzt. Von der Augsburger Dramaturgi­n Sabeth Braun stammt die Fassung, die ich während der Proben noch einmal bearbeitet­e. Brecht nahm seinerzeit auf die Oktoberrev­olution Bezug, Heiner Müller um 1980 auf die RAF. Dazu haben wir heute wenig Bezug mehr. Aber wir leben in einer Zeit des politische­n Stillstand­s und der gesellscha­ftlichen Lähmung. Es müsste eine gesellscha­ftliche Neuerung kommen. Jeder spürt das, jeder weiß das. Ein neuer Gesellscha­ftsvertrag, gerechtere Ressourcen-Verteilung.

Auf welche nachfolgen­den BrechtWerk­e strahlte das „Fatzer“-Fragment aus – und wie?

Treskow: Vor allem auf die Lehrstücke, die zum Teil auch gleichzeit­ig entstanden. Die „Notwendigk­eit“des Tötens in einer politische­n Situation behandelt auch „Die Maßnahme“; den Gang in die Tiefe einer elenden Stadt behandelt auch „Die heilige Johanna der Schlachthö­fe“. Und (Halb-)Zitate aus dem „Fatzer“finden sich auch in der „Dreigrosch­enoper“.

Interview: Rüdiger Heinze

 ?? Foto: Jan Pieter Fuhr ?? Im Spannungsf­eld zwischen Solidaritä­t und Individual­ismus bewegt sich Bert Brechts „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“.
Foto: Jan Pieter Fuhr Im Spannungsf­eld zwischen Solidaritä­t und Individual­ismus bewegt sich Bert Brechts „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“.
 ??  ?? Christian von Treskow, 49, war Schauspiel­direk tor in Wuppertal und ist heute freischaff­ender Re gisseur.
Christian von Treskow, 49, war Schauspiel­direk tor in Wuppertal und ist heute freischaff­ender Re gisseur.

Newspapers in German

Newspapers from Germany