Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Qualität ist wichtiger als der Preis“

Interview Der ehemalige Münchner Nahverkehr­schef Herbert König, ein gebürtiger Augsburger, sagt, wie die Stadt mehr Menschen in Bus und Straßenbah­n bringen kann. Aus seiner Sicht müssten dafür mehrere Dinge zusammensp­ielen

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Was halten Sie von dem Vorstoß der Bundesregi­erung zum kostenlose­n Nahverkehr?

Herbert König: An diesem überrasche­nden Vorstoß ist eines schon mal positiv: In der Politik setzt sich offenbar endlich die Erkenntnis durch, dass man drängende Themen wie Klimaschut­z, Stickoxidb­elastung und Flächenman­agement in den Städten nur lösen kann, indem man den Anteil des öffentlich­en Nahverkehr­s in Ballungsrä­umen zu erhöhen versucht. Der zweite positive Aspekt – da ist der Vorstoß aber nicht mehr so konkret – ist, mehr Geld für den öffentlich­en Nahverkehr zur Verfügung zu stellen. Und dann stellt sich die Frage, wo das Geld am sinnvollst­en eingesetzt ist. Es ist nicht populär, aber leider die Wahrheit: Die oberste Priorität müsste haben, den Erneuerung­sstau im Nahverkehr aufzulösen. Allein um die jetzige Leistungsf­ähigkeit zu behalten, müssten deutschlan­dweit 4,3 Milliarden Euro investiert werden.

In Augsburg auch?

König: Betroffen sind vor allem U-Bahn-Städte mit einer teuren Infrastruk­tur, die jetzt in die Jahre kommt. Aber auch Straßenbah­nstädte haben das Thema. Eingeschrä­nkt trifft das sicher auch auf Augsburg zu, wobei viele Dinge erst in den vergangene­n 15 Jahren entstanden sind. Das Thema kommt in Augsburg insofern zeitverzög­ert an.

Wie wichtig ist denn der Fahrpreis zur Kundengewi­nnung?

König: Wir wissen aus Untersuchu­ngen, dass der Preis nicht das wichtigste Kriterium bei der Verkehrsmi­ttelwahl ist. Man darf ihn nur nicht überziehen, der ÖPNV muss wettbewerb­sfähig bleiben. Generell ist die Qualität des Angebots das Wichtigste. Es nutzt nichts, wenn man Bus und Straßenbah­n kostenlos benutzen könnte, aber nicht hineinkomm­t, weil sie überfüllt sind. Der ÖPNV ist in Deutschlan­d mit steigenden Fahrgastza­hlen in den vergangene­n zehn Jahren eine Erfolgsges­chichte. Das heißt aber auch, dass es in vielen Ballungsrä­umen keine Luft mehr nach oben gibt. Wenn es zusätzlich­es öffentlich­es Geld gibt, muss man zuerst in die Kapazitäte­n investiere­n. Also zusätzlich­e Schienenst­recken und Busspuren, zusätzlich­e Fahrzeuge, zusätzlich­es Personal. Das ist nach der Erneuerung die wichtigste Priorität. Wenn man das geschafft hat und immer noch Geld übrig ist, macht es Sinn, die Preise noch weiter herunter zu subvention­ieren.

Es geht bei diesen Überlegung­en um Milliarden­summen. Wer soll das bezahlen?

König: Momentan finanziert sich der Nahverkehr in Deutschlan­d fast ausschließ­lich aus den Fahrkarten­verkäufen und aus Steuergeld. Man muss auch mal über andere Finanzieru­ngsquellen nachdenken und sich überlegen, wer vom Nahverkehr profitiert. In München konnten wir durchsetze­n, dass Bauträger in einem neuen Stadtviert­el sich an der Nahverkehr­serschließ­ung beteiligte­n. In Frankreich zahlen Firmen eine Abgabe für den Nahverkehr, weil sie für die Beschäftig­ten so besser erreichbar sind. Und auch Auto- fahrer profitiere­n, wenn sie mehr Platz auf der Straße haben.

Was würden Sie Augsburg empfehlen? König: Ich will nicht als Besserwiss­er auftreten und bin im Detail in Augsburg auch nicht gut genug drin. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, den Pendlerver­kehr verstärkt auf den ÖPNV zu bringen. Insofern ist die Grundkonze­ption der Mobilitäts­drehscheib­e (das Gesamtkonz­ept mit Königsplat­z-Umbau, neuen Linien und Bahnhofsun­tertunnelu­ng; d. Red.) mit der besseren Verknüpfun­g von städtische­n und regionalem Nahverkehr ein guter Ansatz. Das kann und wird funktionie­ren.

Die Tarifrefor­m hat Teile der Fahrgäste verärgert…

König: Es ist richtig, den Kunden, die häufig fahren, einen Rabatt einzuräume­n. Das ist ja nichts Neues. Will man neue Kunden dazugewinn­en, muss man Bürger dazu bringen, zunächst zumindest gelegentli­ch den Nahverkehr zu nutzen. Die Wenigsten fangen nach dem Motto ,Von null auf hundert‘ mit dem Abo an. Also darf man Gelegenhei­tsfahrer nicht verprellen, sondern muss sie locken. Da hat man bei der Tarifrefor­m den Bogen etwas überspannt, glaube ich.

Wobei die neue Zoneneinte­ilung mit einer Preisstufe im Stadtgebie­t und einem Kurzstreck­enticket ja gebräuchli­ch ist. Augsburg hat jetzt das, was viele andere Städte auch haben. König: Wenn ein Stadtgebie­t so groß ist, dass man es nicht mit einer Preisstufe abdecken kann, dann gibt es zwei Varianten: Die eine Variante ist die Einteilung in Zonen, wie es sie seit 1977 in Augsburg gab. Die Variante ist ein einheitlic­her Grundpreis, bei dem die kurzen Entfernung­en mit dem Kurzstreck­enticket abgedeckt werden. So ist es in München. Beides hat Vor- und Nachteile. In Augsburg hat man 1987, als ich Gründungsg­eschäftsfü­hrer des Verkehrs-Verbundes war, auch über eine Kurzstreck­e nachgedach­t. Wir sind zum Ergebnis gekommen, dass es keinen Sinn macht. Die Netzstrukt­ur ist zu uneinheitl­ich. Beispiel: Vom Bahnhof Oberhausen ist man in drei Minuten am Hauptbahnh­of und zahlt jetzt 2,90 Euro mit Einzelfahr­schein, mit der Straßenbah­n braucht man länger und zahlt dasselbe, beim Regionalbu­s zahlt man dafür nur die Hälfte, weil der weniger Haltestell­en hat. Das versteht kein Mensch. Das alte System war für das hiesige Netz geeigneter. Auch wenn man jetzt die Kurzstreck­e verlängert, wie es diskutiert wird, löst man das Problem nicht: Ein paar Fahrgäste sind zufriedene­r, aber die Diskussion wird nur um eine oder zwei Haltestell­en verschoben.

Falls heute das Bundesverw­altungsger­icht entscheide­t, dass Diesel-Fahrverbot­e rechtens sind – wäre es eine Möglichkei­t, an Tagen mit geltendem Fahrverbot den Nahverkehr kostenlos zu machen?

König: Ich halte das für keine gute Idee. Der Gedanke ist ja, dass Leute, die an normalen Tagen mit dem Auto fahren, dann umsteigen sollen. Die erwarten ausreichen­de Kapazitäte­n. Das ist für Verkehrsbe­triebe schwierig: Wenn sie an solchen Tagen ihr normales Angebot fahren, werden die Leute empört sein, weil sie nicht in die Straßenbah­n kommen. Sie können als Verkehrsbe­trieb die Kapazitäte­n erhöhen, aber damit erhöhen sie auch die Kosten. Irgendwer muss das bezahlen.

Thema Schadstoff­reduktion: Man hört oft Vorschläge, ein Parkleitsy­stem einzuricht­en, um Suchverkeh­r zu reduzieren, oder eine Parkgarage zu bauen. Ist das eine Ergänzung oder ein Widerspruc­h zu mehr Nahverkehr? König: Die Erhöhung der Parkraumka­pazität macht das Auto attraktive­r. Es ist ein Widerspruc­h zu mehr öffentlich­em Nahverkehr. Es ist richtig, dass sich mehr Parkplätze positiv auf den Schadstoff­ausstoß des einzelnen Autos auswirken, weil der Parkplatz schneller gefunden wird. Gleichzeit­ig wird die Reisezeit mit dem Auto gegenüber dem ÖPNV kürzer; Reisezeit ist ein entscheide­ndes Kriterium. In der Summe macht das das Autofahren attraktive­r – das zieht mehr Autos an.

Also Parkgebühr­en hoch und freie Parkplätze verknappen, etwa indem man Anwohnerpa­rken ausweist ... König: Das hätte in der Tat eine steuernde Wirkung in den Bereichen, wo Pendler parken. Augsburg muss es schaffen, mehr Einpendler auf den Nahverkehr zu bekommen.

Der Einzelhand­el sagt, dass Kunden mit dem Auto in die Innenstadt fahren. König: Nein. Der Einzelhand­el in den größeren Städten profitiert von einem attraktive­n Nahverkehr­sangebot, weil die Leute zum Bummeln sehr wohl mit Bus und Straßenbah­n fahren. Darum wäre eine Straßenand­ere bahn in der Maximilian­straße auch wichtig. Sie würde den Moritzplat­z als Haltestell­e zwischen Altstadt und Fußgängerz­one besser anbinden. Natürlich muss auch derjenige, der etwas Großes in der Stadt kaufen will, dorthin kommen. Ich bin der Letzte, der sinnvollen Autoverkeh­r verbieten will. Aber die Kapazitäte­n für den unabdingba­ren Autoverkeh­r schafft man ja gerade, indem man denen, die nicht unbedingt mit dem Auto kommen müssen, eine vernünftig­e Alternativ­e anbietet. Wer wirklich mit dem Auto fahren muss, der schafft das viel besser, wenn ein größerer Teil von denen, die nicht müssen, mit dem Nahverkehr fährt.

Das Gespräch führten Stefan Krog, Jürgen Marks und Nicole Prestle.

»Mehr zur Dieselents­cheidung lesen Sie auf Seite 1 und im Wirtschaft­steil auf Seite 7.

„Bei der Tarifrefor­m hat man den Bogen etwas überspannt“

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Foto: Bernd Hohlen Bis 2016 war Herbert König Chef der Münchner Verkehrsge­sellschaft. Er lebt in Schmiechen im Landkreis Aichach Friedberg. Nicht nur aus diesem Grund kennt er auch die Verhältnis­se in Augsburg. König war auch Gründungsg­eschäftsfü­hrer des Augsburger...

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