Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Nachbarsch­aftshilfe: Nur wenige lassen sich helfen

Ehrenamt Das Angebot von Nachbarsch­aftshilfen kommt nicht in allen Gemeinden gut an. Warum in Gessertsha­usen eine Gruppe aufhört und es in Diedorf dagegen gut klappt

- VON MARIA HEINRICH

In Gessertsha­usen hört eine Gruppe auf. Mit welchen Problemen Nachbarsch­aftshilfen konfrontie­rt sind, lesen Sie auf

Gessertsha­usen/Landkreis Eigentlich wollten die Ehrenamtli­chen der Nachbarsch­aftshilfe Gessertsha­usen mit ihren Mitbürgern spazieren gehen, für sie Haustiere füttern, sie zum Einkaufen fahren oder Gräber am Friedhof gießen. Doch es wollte sich kaum jemand im Alltag unterstütz­en lassen. Deshalb haben die ehrenamtli­chen Helfer beschlosse­n, die Gruppe zum 1. März aufzulösen.

Karin Dolinek hat über Jahre das Projekt begleitet. Sie sagt: „Wir haben viele Angebote gemacht. Aber gut kamen die nicht an.“Ein eigener Arbeitskre­is hatte 2012 das Vorhaben entwickelt. Es war sogar eine Umfrage unter den Bürgern gemacht worden, ob sie sich eine Nachbarsch­aftshilfe wünschen. Die Mehrheit hatte zugestimmt. Etwa zwölf Freiwillig­e meldeten sich für die Aktion. Doch Karin Dolinek muss feststelle­n: „Viele brauchen Hilfe, wollen sich aber gar nicht helfen lassen.“

So geht es nicht nur der Nachbarsch­aftshilfe in Gessertsha­usen. Auch anderen ähnlichen Projekten fehlt es an Nachfrage. In Dinkelsche­rben gab es zum Beispiel den Versuch, einen Bürgerbus zu schaffen. Vor ein- einhalb Jahren startete die Testphase. Ein Bus sollte an verschiede­nen Wochentage­n unterschie­dliche Strecken abfahren. Bürgermeis­ter Edgar Kalb berichtet: „Es war kein Bedarf da. In fünf Monaten ist der Bus mehr als hundert Mal gefahren. Und es gab nur zwei Fahrgäste.“Auch der Rufbus zwischen Baar, Thierhaupt­en und Meitingen wird zum 31. März eingestell­t. Der Service ist zwar von vielen gefordert, aber bisher noch kein einziges Mal in Anspruch genommen worden.

Der Dinkelsche­rber Bürgermeis­ter Kalb vermutet, dass auf dem Land die Bevölkerun­g noch gut vernetzt sei. In vielen Familien gebe es Kinder, die mithelfen, auch zu den Nachbarn habe man ein enges Verhältnis. „Am Land ist man eben gut integriert“, sagt Kalb. „Hier ist die Welt noch in Ordnung.“

Die Gemeinde Adelsried hatte ein ähnliches Problem. Seit fünf Jahren engagieren sich ehrenamtli­che Helfer in einer Nachbarsch­aftshilfe, aber nur selten bittet jemand um Unterstütz­ung. Bürgermeis­terin Erna Stegherr-Haußmann betreut das Projekt und hat sich einen Mittelweg einfallen lassen: Die ehrenamtli­chen Helfer bieten einmal im Monat ein Kaffeetref­fen an. „Da kann jeder kommen und uns kennenlern­en“, erzählt Erna StegherrHa­ußmann und hofft: „Wenn die Leute uns vertrauen, dann fällt es ihnen eventuell leichter, uns anzurufen.“Die Bürgermeis­terin vermutet zudem ein weiteres Problem: Auf dem Land scheuten sich die Leute eher, Fremde um Hilfe zu bitten. „Sie wollen sich nicht outen, dass sie alleine nicht mehr zurechtkom­men.“

Im Gegensatz zu diesen Gemeinden zeigt die Nachbarsch­aftshilfe in Diedorf, dass es auch gut funktionie­ren kann. Es gibt dort sogar einen eigenen Verein, der verschiede­ne Angebote macht: Fahrdienst­e zum Arzt oder zum Einkaufen, spazieren gehen, vorlesen oder Pflegedien­ste organisier­en. Ingrid Endreß war bis zum vergangene­n Jahr Vorsitzend­e und hat das Projekt von Anfang an begleitet. Sie erzählt: „1992 haben wir angefangen. Da lief es noch nicht so gut.“Doch im Laufe der Jahre sei die Nachfrage stark angestiege­n. Zurzeit gibt es sogar einen Annahmesto­pp. „Wir sind etwa 15 Helfer und betreuen derzeit etwa 40 Personen“, berichtet Endreß. „Deshalb müssen wir im Moment Nein sagen.“

Zu wenig Nachfrage gibt es in Diedorf also nicht. Die Gemeinde beschäftig­t aber ein anderes Problem: Viele der ehrenamtli­chen Helfer sind Rentner und engagieren sich seit mehreren Jahren. „Die meisten von uns sind selbst zu alt geworden. Wir können nicht mehr richtig zupacken“, sagt Endreß. Der Verein ist deshalb immer auf der Suche nach jungen Leuten, die regelmäßig helfen wollen.

Warum bitten in Diedorf so viele Leute um Hilfe? Ingrid Endreß vermutet, dass die Gemeinde stadtähnli­chere Strukturen habe. Das Leben sei anonymer. Zum ursprüngli­chen Dorfkern seien viele Auswärtige zugezogen, die oft keine Familien hätten und auf fremde Hilfe angewiesen seien.

In Gessertsha­usen hört die Nachbarsch­aftshilfe zum 1. März endgültig auf. So hat es die Gruppe im Amtsblatt bekannt gegeben. Karin Dolinek erzählt: „Erstaunlic­herweise rufen jetzt die Leute empört bei uns an und fragen nach, warum wir nicht mehr weitermach­en. Das ist widersprüc­hlich.“Alle Unterlagen und der Telefondie­nst werden nun an die Gemeinde weitergege­ben. Sie muss entscheide­n, ob es irgendwann wieder ein Projekt für Hilfebedür­ftige geben soll. »Kommentar

 ?? Foto: Andreas Lode ?? In Diedorf läuft die Nachbarsch­aftshilfe gut. Ingrid Endreß (rechts) hat für ihre Nachbarin Walburga Eismann die Einkäufe erledigt, zusammen füllen sie die Vorräte im Kühl schrank auf.
Foto: Andreas Lode In Diedorf läuft die Nachbarsch­aftshilfe gut. Ingrid Endreß (rechts) hat für ihre Nachbarin Walburga Eismann die Einkäufe erledigt, zusammen füllen sie die Vorräte im Kühl schrank auf.

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