Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ist er der Mann nach Merkel?

Porträt Jens Spahn gilt als konservati­ver Gegenspiel­er der Kanzlerin – eine Art deutscher Kurz. Trotzdem (oder gerade deswegen) will sie ihn jetzt zum Gesundheit­sminister befördern

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin Angela Merkel ist eine mächtige Gegnerin – aber auch sie ist verwundbar. Jens Spahn, der jetzt ihr neuer Gesundheit­sminister werden soll, hat sie schon mehrfach empfindlic­h getroffen. Erst verdrängte er ausgerechn­et den Merkel-Intimus Hermann Gröhe aus dem CDU-Präsidium, später boxte er beim Parteitag gegen den ausdrückli­chen Willen der Vorsitzend­en ein Nein zur doppelten Staatsbürg­erschaft durch – und dann gab er auch noch ein Buch heraus, das sich in weiten Teilen wie eine Abrechnung mit der Flüchtling­spolitik der Kanzlerin las. Seitdem hat der 37-Jährige seinen Ruf weg: Jung, schwul – und sehr, sehr konservati­v.

Trotzdem soll der gelernte Bankkaufma­nn aus dem Münsterlan­d, der später noch ein Fernstudiu­m der Politologi­e abgeschlos­sen hat, Minister werden – auch wenn noch nicht ganz klar ist, was die CDUVorsitz­ende damit bezweckt. Geht sie einen Schritt auf die Partei zu, die immer lauter eine Rückbesinn­ung auf traditione­lle konservati­ve Werte fordert? Oder versucht sie einen Kritiker zu disziplini­eren, indem sie ihm ein Ressort überträgt, in dem man kaum reüssieren kann, weil von den langen Wartezeite­n beim Arzt bis zu den Problemen bei der Pflege am Ende doch alles dem zuständige­n Minister angelastet wird? Rein fachlich ist Spahn zweifelsoh­ne der richtige Mann am richtigen Platz nach sechs Jahren als gesundheit­spolitisch­er Sprecher und zweieinhal­b Jahren als Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium. Populärer aber werden Gesundheit­sminister im Lauf ihrer Amtszeiten selten.

Dabei hat Spahn ein klares Ziel vor Augen. Als seine Französisc­hlehrerin ihn einst nach seinem Berufswuns­ch fragte, entgegnete er trocken: Bundeskanz­ler. Was damals noch eher scherzhaft gemeint war, halten viele in der Union inzwischen für eine realistisc­he Option. Spahn hat, obwohl noch jung an Jahren, seinen Wahlkreis fünfmal direkt gewonnen, er hat den nötigen Ehrgeiz, er ist ein glänzender Redner und inszeniert sich geschickt als Mann für die Zeit nach Angela Merkel. Die Beförderun­g zum Minister ist, so gesehen, nur der nächste logische Schritt für ihn. „Ganz unbestritt­en“, hat sein Mentor Wolfgang Schäuble einmal gesagt, gehöre Spahn zur Führungssp­itze der Union. „Wir brauchen solche Leute.“

Die Flüchtling­skrise hat dabei wie ein Katalysato­r für seine Karriere gewirkt. Früh schon spürt Spahn, wie dem Staat die Dinge entgleiten und wie nachhaltig die Politik der offenen Grenzen das Land zu verändern droht. „Sich nur an Recht und Gesetz zu halten“, warnt er noch vor der Bundestags­wahl in einem Interview mit unserer Zeitung, reiche nicht aus – das müsse jeder Tourist auch. „Wer zu uns einwandern will, muss sich auch als Teil dieser Gemeinscha­ft mit all ihren Traditione­n und ihrer Geschichte begreifen.“Kinderehen, zum Beispiel, nennt Spahn Kindesmiss­brauch, und die Vollversch­leierung „das Gegenteil einer offenen Gesellscha­ft“. Nur weil jemand aus einem anderen Kulturkrei­s komme, „darf er bei uns keinen Rabatt auf unsere Werte bekommen“. Noch Fragen?

Es sind Formulieru­ngen wie diese, sehr gezielt und sehr pointiert gesetzt, die Spahn zur Galionsfig­ur der Merkel-Gegner in der CDU gemacht haben. Dem Vorwurf, er drifte ins National-Konservati­ve ab, widerspric­ht er jedoch energisch. Liberal-konservati­v sei er, beteuert er dann und lässt wie beiläufig einfließen, dass ihm eine schwarz-grüne Koalition viel lieber wäre als eine schwarz-rote. Auf der anderen Seite allerdings ist Spahn seit Jahren Gastmitgli­ed der CSU – und so klingt er auch, wenn er gegen Import-Imame aus der Türkei wettert, die an deutschen Koranschul­en unterricht­en, ein Burka-Verbot fordert oder sich über die Homophobie vieler muslimisch­er Zuwanderer empört. Kritik, er übertreibe es ein wenig mit der deutschen Leitkultur, kontert er gerne mit einem Bonmot des legendären CDU-Generalsek­retärs Heiner Geißler: „Für manche Linke gilt man schon als rechtsradi­kal, wenn man pünktlich zur Arbeit kommt.“

Abgesehen von ein paar Ungereimth­eiten um ein Unternehme­n, das Software für Steuererkl­ärungen entwickelt und an dem ausgerechn­et er als Finanzstaa­tssekretär eine kleine Beteiligun­g hält, ist die politische Karriere des Jens Spahn bisher bemerkensw­ert glatt und geradlinig verlaufen. Wo das alles noch hinführt – unklar. Wo er sich selbst verortet – schon klarer. Als die übrigen Parteigran­den Anfang des Monats den soeben mit der SPD vereinbart­en Koalitions­vertrag in der Partei und der Öffentlich­keit verteidige­n, fährt Spahn zum Opernball nach Wien. Ein Foto, das ihn mit dem für seine restriktiv­e Flüchtling­spolitik bekannten österreich­ischen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz zeigt, macht auch in Deutschlan­d schnell die Runde und wird Jens Spahn inzwischen als politische­s Bekenntnis ausgelegt: Weniger Merkel, mehr Kurz.

Die Flüchtling­skrise war sein Karriere Katalysato­r

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Unterschie­dliche Blickwinke­l: Angela Merkel und Jens Spahn sind sich nicht immer einig.
Foto: Michael Kappeler, dpa Unterschie­dliche Blickwinke­l: Angela Merkel und Jens Spahn sind sich nicht immer einig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany