Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Stürmische Stories
Wenn alte Musik gerockt wird
„Alte Musik“– das mag für manche immer noch ein wenig behäbig klingen, eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Doch da muss man die Akademie für Alte Musik Berlin gehört haben, schon saust einem das historische Klanggut gewissermaßen gehörig um die Ohren. Die in Augsburg ansässige Deutsche MozartGesellschaft hinterließ bei ihrem Konzert im Vorfeld des Deutschen Mozartfestes im ausverkauften Kleinen Goldenen Saal ein hingerissenes Publikum, das den Solisten Jean-Guihen Queyras als Solisten zweier Cello-Konzerte feierte.
Schon zu Beginn zeigten die Berliner, die unter der Führung von Konzertmeister Georg Kallweit historisch korrekt im Stehen spielen, wie man „alte“Musik sagen wir mal „rocken“kann. „La Musica Notturna delle strade di Madrid“ist nicht einfach eine niedlich-possierliche Suite von Luigi Boccherini. Vielmehr nahm man das köstliche Werk beim Namen und machte aus dieser Straßenmusik tatsächlich eine träumerisch delirierende bis fetzige nächtliche Szene, mit rauen Streicher-Tapsern, deftig schleudernden Tänzen, Folk, merkwürdig wispernd lauernden Pizzicati und süßen Balzmelodien. Um im Neu-Jargon zu bleiben – „total cool, Rockoko“.
Da stand Star-Cellist Queyras nicht nach und schloss sich dem in allen Farben und motorischen Bewegungen vibrierenden Berliner Ensemble mit lustvoller Übereinstimmung an. Der Franzose, der auch mit der zur interessantesten Geigerin aufgestiegenen Isabelle Faust (1987 Gewinnerin des 1. Leopold-Mozart-Wettbewerbs) zusammenarbeitet, zeigte seine künstlerische Handschrift in Konzerten von Haydn und Ignaz Pleyel. Zwar brauchten er und die Akademie im Haydn-Konzert D-Dur noch merkwürdige, der Instrumenten-Stimmung geschuldete Anlaufprobleme (Wetter, Kälte?), doch dann bekam dieses heikle Werk unter seinen Händen spannungsvolle Kontur. Da wurden die Naht- und Verbindungsstellen zum Tutti geradezu emotionale Ereignisse. Das Konzert des Haydn-Schülers Ignaz Pleyel, das den Lehrmeister verrät, war, nachdem Queyras endgültig seine berauschende virtuose Gestaltungskraft zeigte, ebenfalls ein Klangabenteuer.
Als letztes Werk machte die Akademie aus Haydns c-Moll-Sinfonie Nr. 52 ein musikalisches Theater mit stürmischen Stories – schwarze Klangbilder, die Idyllen bedrohen, skurrile Drehmomente im Andante und im Menuett, ein fast wütend ausgeschleudertes Finale.