Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Aleviten feiern ihr 25 Jähriges
Religion Augsburgs Gemeindemitglieder sind stolz auf ihre Tradition und das, was sie in der Stadt geschaffen haben. Die aktuelle politische Lage in der Türkei machte einem Ehrengast einen Strich durch die Rechnung
Im Januar 1993 erhielten die Gründer – zumeist Gastarbeiter der ersten Generation und deren Kinder – das 6000 Quadratmeter große städtische Grundstück an der Bozener Straße in Erbpacht. Dort bauten die Augsburger Aleviten als erste Ortsgemeinde in Europa eine eigene Versammlungsstätte (Cem-Haus). 2016 erwarb der Verein das Grundstück. In der Zwischenzeit investierten die 500 zahlenden Gemeindemitglieder und ihre Sponsoren insgesamt fünf Millionen Euro, zuletzt 2017 in moderne Konzert- und Bühnentechnik für den großen Veranstaltungssaal im Erdgeschoss.
Oberbürgermeister Kurt Gribl, Schirmherr des Festaktes, gratulierte den etwa 300 Gästen und betonte in seiner Ansprache: „Ihre Religionsgemeinschaft hat eine stolze, jahrhundertealte Tradition und blickt auf eine schmerzhafte Geschichte von Verleumdung und Verfolgung sowohl im Osmanischen Reich als auch in der Türkei zurück.“Die Vereinsgründung vor 25 Jahren zeigte: In Deutschland waren sie angekommen. „Es ist schön, dass da sind!“Besorgt äußerte er sich über die Ereignisse in der Türkei: „Die Auswirkungen der Konflikte dort sind auch hier spürbar. Der Frieden in unserer Stadt sollte nicht von Strömungen bedroht werden, die in der Türkei für Konflikte verantwortlich sind.“Er nannte die Ablehnung des Krieges in Syrien durch die alevitische Gemeinde „mutig“und äußerte sich anerkennend, dass sie den zunächst eingeladenen türkischen Generalkonsul als Vertreter der Türkei wieder ausgeladen hatte.
Dass der Ehrengast, der alevitische Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Maltepe, seine Teilnahme absagen musste, bedauerte der Vorsitzende der Gemeinde, Ali Kocakahya: „Das Innenministerium hat diesem gewählten Vertreter von 50 000 Einwohnern die Ausreise verboten. Da ist einiges faul.“
Auch die Rede von Ufuk Çakir, Vorstandsmitglied des Dachverbandes der Alevitischen Gemeinde Deutschland, nahm die türkischen Entwicklungen in den Fokus. Die Entlassung von Deutschen aus türkischen Gefängnissen deute nicht auf einen Politikwandel der Regie- rung Erdogan hin. Die institutionelle Repression gegen die Glaubensgemeinschaft nehme wieder zu. In Deutschland setze sich die Gemeinde der Aleviten weiterhin für eine freie und offene Gesellschaft ein, wünsche sich von staatlicher Seite jedoch mehr Investition in die universitäre Ausbildung der alevitiSie schen Geistlichen. Die Augsburger Familie Yildirim mit Sängerin Sezgi, ihrem Bruder Onur (Cachon), Cousin Eren (Gitarre, Gesang) und ihrem Onkel Ayhan (Saz) umrahmte die Veranstaltung mit Liedern, die nicht nur Rhythmus, sondern alevitische Geschichte und Glaubensphilosophie transportieren. Ein Gebet
des Dede (Geistlicher), drei Kerzen und der Semah-Tanz von vier Frauen und vier Männern beschlossen die Veranstaltung. Der Tanz gehört zu den zwölf Ritualpflichten im alevitischen Cem (Versammlung) und symbolisiert den Kreislauf des Kosmos sowie die Verbundenheit des Menschen mit der Natur.