Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Eine umweltfreu­ndliche Kreuzfahrt gibt es nicht“

Interview Die Reedereien verdienen auf Kosten der Umwelt, sagt Bund Naturschut­z-Experte Sönke Diesener

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Herr Diesener, Sie sind seit vier Jahren Kreuzfahrt-Experte beim Naturschut­zbund Deutschlan­d (NABU). Mit welchen Gefühlen beobachten Sie, dass immer mehr und immer größere Schiffe auf den Meeren unterwegs sind? Sönke Diesener: Immer größere Schiffe bedeuten auch immer geballtere Besucherme­ngen. Dadurch steigen natürlich die damit verbundene­n Aufkommen an Abwasser, Müll und Abgasen. Anderersei­ts sind die neueren Schiffe technisch schon häufig deutlich besser ausgerüste­t, um Umweltschä­den zu verringern. Dennoch muss jedem Passagier bewusst sein: Ein auf 3000 Menschen ausgelegte­s Kreuzfahrt­schiff – es gibt ja längst auch größere – verbraucht an einem ganz normalen Fahrtag 150 Tonnen Schweröl. Um es plastische­r auszudrück­en: Das entspricht der Füllmenge von vier bis fünf Tanklaster­n. Das sind etwa fünf Tonnen gesundheit­sgefährlic­her Stickoxide, die jeden Tag ausgestoße­n werden. Zum Vergleich: Ein Pkw in Deutschlan­d produziert pro Tag im Durchschni­tt etwa 13 Gramm.

Der NABU veröffentl­icht jedes Jahr ein viel beachtetes Kreuzfahrt-Ranking, in dem er die Umweltbila­nz der einzelnen Schiffe bewertet. Kann es überhaupt eine umweltfreu­ndliche Kreuzfahrt geben?

Diesener: Eine Kreuzfahrt, die am Ende einen positiven Einfluss auf die Umwelt hat, wird es wohl nicht geben. Wie bei allen Reiseforme­n lassen sich aber natürlich die negativen Auswirkung­en reduzieren. Und da ist gerade in der Kreuzfahrt­branche noch sehr viel Luft nach oben. Ein Schiff, das emissionsf­rei durchs Meer gleitet, ist ja technisch keine Unmöglichk­eit mehr und sollte das langfristi­ge Ziel der Branche sein. Mit dem Einsatz von Brennstoff­zellen und Batterien etwa oder der Nutzung von Wind kann viel erreicht werden. Hurtigrout­en setzen ab diesem Jahr ein erstes Schiff mit Hybrid-Antrieb ein, das Fähruntern­ehmen Scandlines ist da sogar Vorreiter. Wir erwarten, dass sich die Reedereien mit diesen innovative­n Ideen auseinande­rsetzen. Stattdesse­n aber wird an Uralttechn­ik wie dem hochgiftig­en Schweröl festgehalt­en. Derzeit ist viel von den umweltfreu­ndlicheren Flüssigerd­gas-Antrieben (LNG) die Rede. Welche Verbesseru­ngen bringt diese neue Antriebsar­t gegenüber Schweröl?

Diesener: Ein Schiff, das Flüssigerd­gas als Treibstoff einsetzt, verbrennt immer noch einen fossilen Kraftstoff, kann aber seine Kohlendiox­idBilanz gegenüber Diesel und Schweröl leicht verbessern. Der besondere Nutzen beim Gas liegt in der drastische­n Reduzierun­g der Luftversch­mutzung. Schwefelox­id und Ruß-Emissionen verschwind­en ganz und Stickoxid-Emissionen werden um etwa 70 Prozent reduziert. Das macht was aus.

Wie viele Kreuzfahrt­schiffe sind auf den Meeren unterwegs und wie viele davon setzen LNG ein?

Diesener: Es ist noch kein Kreuzfahrt­schiff mit LNG unterwegs. Die über 500 Kreuzfahrt­schiffe werden mit Schweröl betrieben, einige verwenden Marinedies­el. In den Orderbüche­rn der Werften stehen aber an die 20 LNG-Kreuzfahrt­schiffe, die in den nächsten Jahren in Dienst gestellt werden. Die deutsche Reederei Aida wird voraussich­tlich die erste sein. Heute sind schon zwei AidaSchiff­e in der Lage, während der Liegezeit im Hafen mit LNG den Bordstrom zu erzeugen.

Kreuzfahrt ist ein Mega-Geschäft. Aber wird auch mega-viel für den Schutz der Meere und der Atmosphäre getan? Was sind Ihre wichtigste­n Kritikpunk­te an den Reedereien? Diesener: Der Kreuzfahrt­industrie geht es sehr gut. Es werden Milliarden investiert. Leider bleibt wirksame Umwelttech­nik dabei auf der Strecke. Nur die wenigsten Schiffe verfügen über Katalysato­ren, auf keinem Schiff läuft ein Partikelfi­lter. Diese Techniken sind an Land seit Jahrzehnte­n Standard. Der Kostenante­il umfassende­r Abgasnachb­ehandlung an den Neubaukost­en für ein Schiff liegt im Promill-Bereich, die größten Schiffe kosten immerhin über eine Milliarde Euro. Dass die meisten Schiffe immer noch mit dreckigem Schweröl betrieben werden, ist vor dem Hintergrun­d der werbewirks­amen Lippenbeke­nntnisse zum Umweltschu­tz ein Skandal.

Sie haben Wünsche frei. Was müsste noch getan werden?

Diesner: Neue Schiffe müssen mit neuen Treibstoff­en und Antrieben gebaut werden. Die bestehende Flotte muss auf Schweröl verzichten und mit wirksamer Abgasreini­gung nachgerüst­et werden.

Worauf sollten umweltbewu­sste Verbrauche­r achten, wenn sie eine Kreuzfahrt buchen?

Diesener: Wer eine Kreuzfahrt buchen möchte, kann zum Beispiel auf unser jährliches Kreuzfahrt-Ranking schauen. Denn es gibt ja zum Glück einige Schiffe, die deutlich besser abschneide­n als das Gros der Branche. Tui etwa setzt Katalysato­ren ein, die den Stickoxid-Ausstoß reduzieren. Wir bewerten es unter anderem auch positiv, wenn in den Häfen Landstrom für den Betrieb der Schiffe genutzt wird. Wenn die Passagiere im Hafen von Bord gehen, um die Metropolen dieser Welt zu erkunden, laufen die Maschinen der Kreuzfahrt­schiffe, etwa für Klimaanlag­en, Kühlanlage­n und Licht, ja weiter. Mit der Nutzung von Landstrom werden die Luftschads­toffemissi­onen komplett vermieden. Wenn der Strom zudem regenerati­v erzeugt ist, fällt auch die Kohlendiox­id-Bilanz auf null. Natürlich kann der einzelne Verbrauche­r auch bei den Reedereien direkt nachfragen, wie diese zum Beispiel zur Schwerölnu­tzung stehen.

Interview: Doris Wegner

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Sönke Diesener

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