Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Alltägliche Gewalt im Kinderheim
Missbrauch Ehemalige Bewohner und Mitarbeiter zeichnen ein fürchterliches Bild vom Leben in der Einrichtung der Stiftung Cassianeum in Donauwörth. Die Eindrücke über die Jahrzehnte unterscheiden sich allerdings
Donauwörth Es klingt aus heutiger Sicht unglaublich, was die früheren Bewohner des Kinderheims der Pädagogischen Stiftung Cassianeum in Donauwörth von ihrer Zeit dort berichten. Körperliche und seelische Gewalt sollen demnach ebenso wie Kollektivstrafen zum Alltag in dieser Einrichtung gehört haben, die 1977 geschlossen wurde. Im Zentrum des Skandals stehen neben einigen Erzieherinnen auch der Pfarrer und damalige Kinderheimleiter Max Auer. Das Ganze kam nun ans Licht, weil es zwei Schwestern, ehemalige Heimkinder, publik machten, die in den 60er-Jahren in der Einrichtung unterkamen und eigentlich Schutz finden sollten vor Gewalt in der Familie. Das Bistum Augsburg hat den beiden Schwestern und einem dritten Opfer Entschädigungen für das erlittene Leid gezahlt. Seit Freitag haben sich drei weitere Betroffene bei der Opferbeauftragten der Diözese gemeldet.
Aufgrund der Berichterstattung über das Thema meldete sich unter anderem Hans*, der von 1955 bis 1958 in dem Heim lebte, bei unserer Zeitung. Auch er berichtet von gewalttätigen Übergriffen. „Besonders schlimm war eine Erzieherin. Die anderen waren in Ordnung“, sagt er. Frau H. allerdings habe „wie eine Weltmeisterin geprügelt“. Auch habe er es immer wieder erlebt, dass Kinder ihr Erbrochenes essen mussten und Kinder, die eingenässt hatten, noch zwei Tage in dieser Bettwäsche schlafen mussten.
Fast 40 Jahre lang – von 1960 bis 1999 – war Pater Anton Karg als Rektor der benachbarten Knabenrealschule und als Internatsleiter von Heilig Kreuz tätig. Der heute 84-Jährige lebt inzwischen im Augustiner-Chorherren-Stift Rebdorf in Eichstätt. Obwohl seine Wir- kungsstätten in Heilig Kreuz nicht nur organisatorisch, sondern auch räumlich vom Kinderheim getrennt waren, befanden sie sich doch in unmittelbarer Nachbarschaft unter demselben Dach des großen Gebäudekomplexes. Deshalb hat er auch mitbekommen, dass Kinderheimleiter Max Auer sein Regiment mit strenger Hand führte. „Zwischen uns und Max Auer hat es immer Spannungen gegeben“, schilderte er jetzt unserer Zeitung. „Er hat sich nicht reinreden lassen.“Dann und wann hat Karg damals von Schlägen gehört, hat sich aber immer auch auf die Hiltruper Ordensschwestern verlassen, die damals das Personal stellten. „Die Misshandlungen sind einzig von Max Auer ausgegangen“, hat Pater Karg in Erinnerung, „die Klosterfrauen haben vieles ausgeglichen.“
Das deckt sich nicht ganz mit den Aussagen von Hans und den beiden Schwestern, die den Missbrauch jetzt aufdeckten. Laut deren Schilderungen waren neben Max Auer auch weitere Mitarbeiter beteiligt. Die beiden Frauen sagen, dass sie damals besonders stark von „Tante V“, körperlich und seelisch misshandelt worden seien. Über die Jahre hinweg gab es offenbar auch einige Veränderungen in dem Kinderheim. Die Schwestern berichten davon, dass Pfarrer Auer die Beichte abgenommen und die Kinder anschließend direkt verprügelt habe. An sehr fragwürdige Erziehungsmethoden erinnert sich auch eine Bewohnerin des Landkreises, die sich aufgrund der Berichterstattung bei unserer Zeitung gemeldet hat. Sie arbeitete Anfang der 70er-Jahre als Vorpraktikantin im Kinderheim.
Sie spricht von einer völlig überfüllten Gruppe und zu wenig Personal und davon, dass die Kinder weitgehend sich selbst überlassen waren. Genauso schlimm sei die hygienische Situation gewesen, so die Pädagogin. Sie habe verwahrloste Mädchen und Buben erlebt und auch Läuse seien ein großes Problem gewesen. Der jetzige Vorsitzende der Pädagogischen Stiftung Cassianeum, Peter Kosak, hat derweil Betroffene aufgefordert, sich entweder bei der Missbrauchsbeauftragten der Diözese Augsburg oder direkt bei der Stiftung zu melden. Wichtig wäre es ihm aber auch, mit früheren Heimbewohnern oder Zeitzeugen in Kontakt treten zu können.